Skihochtour mit Hund: Monte Cevedale (3769 m) Überschreitung im Hochwinter
Skihochtour Monte Cevedale mit Hund

Skihochtour mit Hund: Monte Cevedale (3769 m) Überschreitung im Hochwinter

Sag mir, was hast du vor mit deinem wilden, kostbaren Leben…
(Marie Oliver)

Der Monte Cevedale mit seinen 3769 m gilt als der höchste Skiberg der Ostalpen, da man bei guten Bedingungen mit den Ski bis zum Gipfelkreuz steigen kann – im Rücken thronen Ortler und Königsspitze. Die Überschreitung des Monte Cevedale in Verbindung mit der Südlichen Zufallsspitze (3757 m) ist eine Skihochtour der besonderen Art. Startet man im Tal vom Parkplatz aus, so warten zähe 1800 Höhenmeter und etwa 25 km Strecke auf die Tourengeher.

Wenn mich eine Erkrankung für mehrere Tage ans Bett fesselt, passiert gewöhnlich eins von zwei Dingen: Entweder bekommen meine Räder Zuwachs oder mir fallen paar Schnapsideen ein. Und in diesem Fall geschah beides. Dass Innsbruck die Stadt der (Sport-)Verrückten ist, merkt man nicht nur, wenn man zu nachtschlafender Zeit seine Bahnen im Hallenbad schwimmt, sondern auch dass einem beim Präsentieren von Schnapsideen niemand den Vogel zeigt, sondern einfach nur fragt: Wann?

Tja, so kam es zur Skihochtour mit Hund – Überschreitung des Monte Cevedale im Hochwinter (mit Windchill-Temperaturen bis minus 50 Grad).

Aufstieg zur Zufallhütte
Aufstieg zur Zufallhütte
Eingehtour im Martelltal
Eingehtour im Martelltal

Freitag, 19. Januar 2024
Am späten Vormittag starten wir unsere Eingehtour Richtung Butzenspitze (3300 m) vom Parkplatz Hintermartell aus. Unverspurtes Gelände, feine Powderhänge – nur garstiger Wind. Der jedoch laut Wettervorhersage morgen abflachen soll. In unserer Ferienwohnung auf 2050 m mit dem Namen „Gefriertruhe“ – der Kofferraum meines Autos – machen wir es uns dann ab späten Nachmittag gemütlich. Ich koche noch Tee, während die Temperaturen auf unter minus 15 Grad Celsius fallen. Das Auto wird von außen sowie innen zum Eispanzer durch unsere Ausatemluft. Markus ist nur noch aus seinem Atemloch erkennbar, sonst ist er komplett im Schlafsack verschwunden. Ich rücke meine Sturmhaube gerade, ziehe mir die Deluxe-Schlafmaske über die Augen und vergrabe mich in meine warme Daunenwelt.

Zufallhütte am Morgen
Zufallhütte am Morgen
Aufstieg über Fürkeleferner
Aufstieg über Fürkeleferner
Dreamteam ;)
Dreamteam 😉
Skihochtour Monte Cevedale mit Hund
Skihochtour Monte Cevedale mit Hund

Samstag, 20. Januar 2024
Die ersten Schritte durch den Pulverschnee in der Morgendämmerung. Hinauf Richtung Zufallhütte, dann weiter über die Steilstufe zur Marteller Hütte. Wir haben Hunger, doch es ist so bitterkalt, dass wir weitergehen müssen, solange bis die Sonne den Fürkeleferner erreicht. Dann endlich mit den ersten Sonnenstrahlen gönnen wir uns ein paar Minuten Pause auf dem Gletscher. „Ich hätte gefrorenes Brot mit Erdnussbuttereis im Angebot.“, sage ich und beiße vorsichtig in die Tiefkühlkost. Okay, dann eben nichts mit Frühstück bei minus 25 Grad (ohne Windchill). Weiter geht es. Noch zwei andere Zweierteams sind am Berg unterwegs. Markus, der bis jetzt gespurt hat, übergibt an die Italiener. Doch diese drehen nach kurzer Zeit um, als sie die Gipfel erblickt haben, genauso wie die anderen beiden. Wir gehen weiter. Am Seil über die Steilstufe neben der Spaltenzone. Queren die Flachzone und erreichen den Beginn des Fürkelegrates.

Steilstufe im Fürkeleferner mit Südlicher Zufallsspitze
Steilstufe im Fürkeleferner mit Südlicher Zufallsspitze
Gratkletterei im Sturm
Gratkletterei im Sturm
Grat zur Südlichen Zufallsspitze
Grat zur Südlichen Zufallsspitze
Querung auf dem Vedretta de la Mare
Querung auf dem Vedretta de la Mare

Wir erklettern die erste Steilstufe bis der Grat abflacht. Der Sturm bläst mittlerweile so heftig, dass es uns umweht und man sich sehr genau überlegt, wann man seinen Fuß hebt. Am besten zwischen zwei Böen. So entscheiden wir uns, unterhalb über den Gletscher Vedretta de la Mare zu queren. Im vereisten Hang kämpfen wir gegen den Wind und ziehen uns die Steigeisen an. Meine Kräfte schwinden so langsam. Die Überschreitung des Monte Cevedale nach einer Woche Bettruhe – naja, klitzekleine Schnapsidee und zwei gezerrte Waden gratis dazu. 50 Schritte stapfe ich, dann 10 Atemzüge Pause. Und weiter. Fellnase rennt schwanzwedelnd vor zum Gipfel und als ich dann auch mal auf Knien ankomme (um den Wind mit seinen 80 km/h Böen weniger Angriffsfläche zu bieten), höre ich dieses unglaubliche Perpetuum Mobile auf vier Beinen, ganz viel Fell und einer kalten Schnauze ungeduldig das Gipfelkreuz des Monte Cevedale (3769 m) anbellen, als wären wir auf einer kleinen Gassirunde.

Gipfelflanke zum Monte Cevedale
Gipfelflanke zum Monte Cevedale
die letzten Schritte bis 3769 m
Blick vom Gipfel Richtung Ortler, Königsspitze und Monte Zebru
Blick vom Gipfel Richtung Ortler, Königsspitze und Monte Zebru
Skihochtour Monte Cevedale mit Hund
Skihochtour Monte Cevedale mit Hund

Abstieg bzw. Abfahrt Richtung Casatihütte auf dem Zufallferner. Der sausteile Gipfelhang ist so eisig verblasen, dass sich schon in Windrichtung Büßereis, auch als Zackenfirn bekannt, ausgebildet hat. Da stapfe ich lieber mit Steigeisen hinunter auf der Suche nach der großen Randkluft und einer geeigneten Stelle, an der wir queren können. Doch alles ist so hart gefroren und verweht, dass die harten Schneebrücken über den Spalten halten und wir sicher nach unten kommen. Wir fahren nun über den Langenferner ab um die Überschreitung komplett zu machen (kürzer und steiler wäre der Zufallferner Richtung Marteller Hütte zurück). Sobald kein Wind mehr angreifen kann, genießen wir unverspurte Abfahrtsfreude im Pulver. Nicht eine einzige Spur haben wir auf der ganzen Tour gesehen.

Vereister Gipfelhang oberhalb der Randkluft
Vereister Gipfelhang oberhalb der Randkluft
Blick zum Ortler Dreigestirn
Blick zum Ortler Dreigestirn
Der lange Weg über den Langenferner zurück
Der lange Weg über den Langenferner zurück
Sonnenuntergang im Martelltal
Sonnenuntergang im Martelltal

Und der Langenferner macht seinem Namen alle Ehre. Die Sonne geht langsam unter und lässt die Berge glühen. Der zähe Weg zurück zur Zufallhütte raubt mit einigen Schiebestrecken (danke Fellnase für deine unermüdliche Unterstützung) und Gegenanstiegen die letzten Energiereserven. Zu wenig getrunken, kaum etwas gegessen. Es war einfach alles gefroren. Binnen Sekunden gefroren Teetropfen an der Tasse, zehn Sekunden hielt man es ohne Handschuhe aus. Die Sonnencreme war bereits am Vormittag so hart gefroren, dass man sie nicht mehr aus der Tube drücken konnte. Die bittere Kälte und der erbarmungslose Wind, dazu konditionelle Hochleistungen. Im Nachhinein recherchieren wir, dass am Gipfel bei knapp 3800 m Höhe wohl minus 30 Grad geherrscht haben. Dazu der Windchill durch den Sturm ergibt nahezu minus 50 Grad Celsius. Wunderbare Schockfrostung über zehn Stunden. Mein körpereigenes Notstromaggregat hat sich schon vor einiger Zeit angeschaltet. Mein Hals durch die kalte Luft gereizt. Jedes Wort ist zu anstrengend. Und so fahren wir mutterseelenallein in den Sonnenuntergang hinein, bis es zu dunkel wird und nun der Schein der Stirnlampe im Schnee glitzert. Wir erreichen unsere Ferienwohnung „Gefriertruhe“, verzichten dankend auf eine weitere Nacht und kratzen das Auto erstmal von innen frei. Als ich in meinem Schlafsack noch eine Thermoskanne mit Tee knapp oberhalb des Gefrierpunktes finde, kehren die Lebensgeister langsam zurück.

Wunderschöne Einsamkeit
Wunderschöne Einsamkeit
Ende einer Traumtour - Skihochtour mit Hund - Monte Cevedale
Ende einer Traumtour - Skihochtour mit Hund - Monte Cevedale

Wir fallen in die nächste Pizzeria ein und ziehen die obersten Schichten unserer Kleidung aus. Als Michellinmännchen trug ich: dreiviertellange Merinounterhose, Daunenhose, Hardshellhose – dünnes Merinolangarmshirt, dünne Isolationsstoffjacke, dicke Daunenweste, Hardshelljacke, dicke Daunenjacke. Und das im Anstieg sowohl Abfahrt. Vor uns zwei Teller voll heißer Pizza. Italiener unterhalten sich am Nebentisch über die strenge Kälte. Minus 18 Grad wurden hier unten im Tal gemessen. Ich schmunzele und verspüre Dankbarkeit. Und einen Hauch Traurigkeit, wenn Erinnerungen an meinen letzten Aufenthalt im Martelltal und die Ötztaler Runde, eine anspruchsvolle Skitourenwoche aufploppen – nur waren es da Gott sei Dank zwanzig Kelvin weniger und kein Wind. 

Sag mir, was hast du vor mit deinem wilden, kostbaren Leben – Marie Olivers Worte im Ohr. In meinem Kopf formt sich eine weitere Idee – nach der intensiven Skizeit die ersten Frühlingswochen auf drei Inseln im Mittelmeer zu verbringen, um mit Fellnase und dem Mountainbike die dortigen Trails zu erkunden. Mal sehen. Erstmal ziehe ich mir um Mitternacht meine Bettdecke über den Kopf mit dem festen Versprechen, morgen jede Körperzelle in der Sauna auftauen zu lassen.

Tausend Dank für dieses unglaubliche Erlebnis der Extraklasse – Skihochtour mit Hund – Monte Cevedale Überschreitung im Hochwinter! (Nicht zur Nachahmung empfohlen 😉 ) Danke Markus für deine Spurarbeit und Unterstützung – und danke Fellnase, du unermüdliches Energiebündel.

Mexx trug eine Skibrille gegen Sonne und Wind und eine Militärweste, die nicht nur als Kälteschutz sondern auch als Klettergeschirr diente, um ihn mit anzuseilen bei den kritischen Passagen überm Gletscher. Mehrere Infos zu Geschirren hier: Klettergeschirr

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hallo Francie, immer wieder erstaunlich, was du da so machst. Bisher gab es noch keinen Kommentar. Ich glaube den meisten bleibt einfach die Spucke weg, wenn sie das lesen.;-)
    Voele Grüße und alles Gute weiterhin!
    Ulli

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