Mitte März 2015 sitze ich im Zug nach Budapest, mein Fahrrad und Packtaschen neben mir. Von Budapest führt mich meine Radreise allein den Donauradweg entlang durch Serbien und dann über die Karpaten in Rumänien zurück nach Ungarn. Drei abenteuerliche und nervenaufreibend Wochen mit kaputtem Benzinkocher und gesperrter Visakarte… dazu Schneeregen in den Karpaten und Orkan in Ungarn… Aber: Normal geht immer 😉 Außerdem bin ich ja schließlich kein Sonntagsfahrer… 😉
Tagebucheintrag vom 23.3.2015, hinter Belgrad
„…Und langsam werde ich verrückt oder wieder normal? Soviel dazu, dass ich mich verändere. Ich rede mit mir selber, oftmals in Englisch und erzähle mir, was ich so erlebe. Meine Haut riecht sonnenverbrannt, der Dreck stapelt sich. Aber die Donau ist noch dreckiger zum Baden. Ich bin vollkommen im Radreisemodus. Überleben, weiterkommen, schlafen, essen, trinken, radfahren. Hygiene oder andere Menschen? Letzteres würde mich eh überfordern. Die sind so anders…
–Cycling is like Church. Many attend, but only few understand.–
–Travelling is not to see different landscapes, it is to see with different eyes.–
–You only comprehend, when you experience.–
Unter den Wegschildern stehen immer solche wundervollen Sprüche, die mir das Gefühl geben, jemand versteht mich. Und wenn es nur ein Wegweiser ist. Heute habe ich während der Fahrt geweint. Warum? Vielleicht ist meine Seele nur übergelaufen…“
Im März habe ich den Donauradweg ganz allein – okay, es windet auch ziemlich ungemütlich und man kommt nur langsam voran. Aus diesem Grund entscheide ich meine Route zu verkürzen, weil ich die geplanten Etappen wegen dem Gegenwind nicht schaffen kann.
„Der Wind bläst so heftig, dass das Radeln auf der Landstraße mit 10km/h deprimierend ist. Und meine Knie schmerzen… […] Aber ich bin froh darüber. Froh darüber, auch mal die Zeit zu haben, das Rad eine halbe Stunde lang zu schieben. Die Langsamkeit zu genießen. Wie viel mehr man sieht! Die beiden Kraniche, die vorhin vom Wasser hochgeflogen sind. Wie die Äste der Bäume sich wiegen…“
Nach dem Donaudurchbruch verließ ich den Flussradweg und fuhr nach Rumänien. Mein Benzinkocher hatte eine ausgemachte Macke bzw. ich war durch Unerfahrenheit (noch) nicht in der Lage das Problem zu finden (ich hätte eine neue Dichtung gebraucht). Also gab es oftmals nur lauwarme, aufgeweichte Nudeln. Wenn überhaupt, da meine Visakarte gesperrt war (ich Schussel habe die PINs verwechselt!) hatte ich nur sehr sehr wenig Bargeld. Ich kaufte nur das Nötigste und Günstigste. Nudeln, Brot, Haferflocken, Bananen schon eher Luxus. Mehrmals hatte ich Riesenglück und fand im Straßengraben eine Bäckertüte mit frischen Brötchen und Gebäck, ein halbe noch warme! Pizza im Karton bei strömenden Regen oder ich wurde von freundlichen Menschen zum Börek eingeladen. Hunger hatte ich beständig. Hinzu kam dann noch der Schneeregen in den Karpaten…
Ich erinnere mich noch an den lieben rumänischen Grenzbeamten, der mich fragte: „Francie, where do you go?“
Tagebucheintrag zu Samstag, 28.3.2015 (Nachtrag), 30km vor Resita
–Misty Mountains Cold–
Gestern hatte ich nicht die Kraft und Muse dazu Tagebuch zu schreiben. Schon gar nicht wollte ich die Hände aus meinem Schlafsack nehmen. Außerhalb herrschte lebensfeindliche Kälte und Nässe. Früh hatte ich noch die Hoffnung, dass es aufhört. Aber dann fuhr ich in den Düsterwald ein… Grau, neblig, schweinekalt. Bergauf schwitzte ich mich nass, bergab fror ich. Klitschenass. Durch bis auf die Haut.“
Ungarn entschädigte mich mit Sonne und Blütenzauber, jedoch erwartete mich auch Orkan Niklas…
„Pfeifen, Rauschen, Dröhnen. Mein Fahrrad neben mir im Dreck. Versuche das Gleichgewicht zu halten, indem ich mich gegen den Wind stemme. Wind? Orkan! Es ist unglaublich. Zwischendurch habe ich die Schnauze so voll, dass ich schreie und fluche, aber das geht im Sturm unter. Ich schwanke und taumele jedes Mal bedrohlich, wenn mich ein Fahrzeug überholt oder mir entgegenkommt. Aufgewirbelter Dreck, Sand, Erde weht mir ins Gesicht. Meine Zähne knirschen, weil ich Sandkörner auf ihnen zermahle.“
Der Frühling hat begonnen und ich genieße die Wärme nach all den frostigen Nächten, den Schneeregentagen und den tausend kleineren und größeren Katastrophen unterwegs.