Die Kunst eines erfüllten Lebens ist die Kunst des Lassens: Zulassen. Weglassen. Loslassen. (Ernst Ferstl)
Die Alta Via dei Monte Liguri ist ein etwa 450 km langer Höhenweg (Radvariante 488 km) durch die Ligurischen Alpen und den Ligurischen Apennin parallel zur Mittelmeerküste. Und das mit dem Mountainbike und Hund: Bikepacking mit Hund auf der Alta Via dei Monte Liguri – ein Abenteuer der Extraklasse. Konditionell und technisch sehr anspruchsvoll mit einigen Hunger- und Durststrecken 😉 – ein Reisebericht…
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Tag 1
Vor 48 Stunden stand ich noch vor dem gepackten Gravelbike, um wie langfristig geplant durch die Abruzzen zu radeln. Nach Gesprächen mit Freunden und in Anbetracht der Wettervorhersage überfliege ich nochmal die Bikepacking Routen. Alta Via Monte Liguri, über 450 km und mehr als 21.000 Höhenmeter, Schwierigkeit 9 von 10. Viel zu schwer, mit Hund kann ich das vergessen, dachte ich immer. Und nun liegen wir nach den ersten 10 Radel- und Schiebekilometern im Zelt, hören die Vögel zwitschern und hinter der Zeltplane liegt das Blau des Meeres. Doch bis dahin lagen nervenaufreibende Stunden…
Mmh, okay, ich mach es! Reduziere mein Gepäck, da ich nun beim Fully keinen Gepäckträger und Hundeanhänger mehr habe, versuche die Schaltung perfekt einzustellen, telefoniere stundenlang mit Campingplätzen, Touristinfos, Polizeistationen, Tankstellen… um einen sicheren Parkplatz für mein Auto zu finden, schreibe einem Freund: Es funktioniert alles nicht so wie gedacht, aber ich mach es trotzdem.
Strampelnd, schiebend und tragend die ersten Meter in der Abendsonne. Ein Traum von einem schmalen Singletrail schlängelt sich durch Maigrün, immer mal wieder Felsen, ausgesetzt mit Meerblick.
Tag 2
Inmitten von Gänseblümchen und einer schnarchenden Fellnase, neben mir das Bike, vor mir dunkle Nussschokolade. In Gedanken bin ich noch auf den fantastischen Trails der letzten Kilometer, Pferde galoppieren wiehernd an uns vorbei, ächze die steilen Passagen bergan und staune mit Blick aufs Meer. Tagesroutine: Beine von Zecken befreien: aktueller Stand – 12 Stück.
Zwei Tassen Tee mit Zucker und Keksen später sitze ich an meinen Zelt am See. Yolande und ihr Begleiter aus der Schweiz haben mich in ihr Agriturismo (Ferienwohnung) eingeladen. Ihr Plan ist es nach Assisi zu laufen. Sonst begegne ich keinem Menschen…
Tag 3
Starker Regen bis zum Mittag, bis dahin den Tag eingekuschelt im Schlafsack mit Frank Schätzings Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ verbracht. Das klitschnasse Zelt eingepackt, bergab den Arsch abgefroren, berghoch bei 14% Steigung unter Goretex zu Tode geschwitzt. Ich wünsche mir vom Universum für heute Nacht einen Unterstand, um nicht in den nassen Lappen von Zelt kriechen zu müssen. Zwischen Nebelschwaden lugt eine winzige Holzhütte in den Bäumen hervor – jippie, danke! Erst hier merke ich, wie durchgefroren ich bin.
Tag 4
Nebelschwaden im Regenwald, feuchte Kälte und einen Überschlag überm Lenker später: Das Posto Tappa – die Unterkunft in der Kirche hat leider geschlossen. Das ist das Ergebnis meiner Nachfrage im Tante Emma Laden. Where do you go, fragen sie. I go to Ventimiglia. Die Augen werden groß. Genau diesen Satz habe ich vor 3 Jahren schon mal gesagt, während einer 4-monatigen Trekkingauszeit vor Jobbeginn. Nach nicht mal 4 Wochen brach ich jedoch aus privaten Gründen ab und fuhr nachhause. Und nun? Selbes Ziel, anderes Leben. Zeiten ändern dich. Alone?, fragen sie. Sola? Si. Und jetzt fallen die Augen fast heraus, die Frauen falten die Hände und murmeln gen Himmel. Und ich – regenverschmiert, dreckig, fröstelnd, ein Rad, ein Hund.
Leider keine warme Dusche für uns – wie so oft, alles geschlossen – „chiuso“. Derweil schrecke ich auf und sehe aus dem Zelt heraus die 3 m entfernten Riesenzähne eines Keilers. Er schnaubt. Oh hallo, ähm… nett.
Tag 5
Zäh den ersten Pass für heute hochgekurbelt. Links ein bocksteiler Holperpfad bergab (GPX-Track), rechts breite Forststraße, die (theoretisch) unten im Tal zusammenkommen. Klar, denkt sich Fräulein Neunmalklug. Im grenzenlosen naiven Optimismus. Was als Forststraße beginnt, wird auch als Forststraße enden. Nein. Endet im gottverlassenen Dörfchen namens Noci. Dann ein steiler Grashang, steiler, felsiger, schlammiger Waldhang. Der Pfad entlang Wildschweinspuren. Einige Male verliere ich den Halt und mein Rad kracht an den nächsten Felsen, ich auf den Hintern. Am Fluss, puh, endlich. Leider hätte ich vorher mal die Höhenlinien checken sollen. Falsches Tal. Fluche, ächze, stöhne wieder den nächsten Hang hinauf und hinunter. Stoße vor Erschöpfung, Hunger und Durst Ur-Schreie aus. Hier ist ja eh keiner. Nach etwa 3 h „Abkürzungs-Umweg“ durch dichten Dschungel wieder auf dem GPX-Track. Beim Aufsteigen blockiert mein Rad. Klar ist das Schaltwerk heftig verbogen. Halbwegs wieder gerade gerückt holpern wir weiter, hinaus auf eine sonnendurchflutete Blumenwiese.
Während dieser Quatschaktion höre ich von früheren Filmabenden Nori und ihre Hobbitfreunde singen: Keiner verlässt den Pfad! Tja, ich merk es mir.
Tag 6
Jetzt weiß ich was HaB bedeutet. Besser: PaB, CaB. Hike…push…carry a bike. Nach einem Frühstück in einer kleinen Bar, wo die gute Frau mir noch paar Snacks und was für Mexx zu steckte, nachdem sie von unserem Weg erfuhr, ging es endlos bergauf. Das Rad in der einen Hand und im Seitstep bergauf über Felsen. Atemberaubende Landschaft, drei Greifvögel kreisen über uns. Fellnase immer voraus bei meinem Schneckentempo. Bergab über teils flowige, teils verblockte Singletrails. Und genau wegen diesen Minuten tue ich mir die Schinderei hier an. Wegen dem Gefühl des Fliegens auf den Trails. Die wilde Einsamkeit der grünen Berge. Die ersten Regentropfen eines Gewitters auf der nackten Haut. Vielleicht liebe ich jede Schweißperle, jede Schramme, jeden Zeckenbiss, jede Träne, jeden verzweifelten Ausruf (Oh nein, das ist nicht euer Ernst!) in Anbetracht des Weges. Dann spüre ich die Freiheit, mein Leben, den Entdeckungsdrang. Zugleich freue ich mich auf Stunden der Ruhe, der Gemeinschaft. Reisen bildet, sagt man. Neue Landschaften, neue Menschen, neue Situationen, in denen man improvisieren und sich zurecht finden muss. Wie reagiert man selbst in Extremmomenten? Wo sind meine Grenzen?
Tag 7
In den Morgenstunden eine Passstraße mit Meerblick hochgeschlängelt. Weiter dem Pfad über Bergkämme gefolgt, geschoben und getragen. Wunderschöne lange Abfahrt, sogar mal größtenteils fahrbar 😉 . Am Abend auf den Picknickbänken des Castello Bella Vista ausgebreitet, Wind rauscht durch die Bäume. Nach fast einer Woche Unterwegssein setzt ein Zustand der Schwerelosigkeit ein. Ich weiß noch, vor Jahren, als ich viel allein mit dem Rad gereist bin, einmal 13 Länder in einem Sommer, dass ich nachts aufwachte und nicht wusste, wo ich war. In welchem Land. Den Blick wandte und im hellen Mondschein sah ich einen riesigen Hirsch mich anstarren. Ahja, ich schlafe auf einem Tisch eines dänischen Wildparks. Und so fließen die Stunden und Tage ineinander, Kilometer und Höhenmeter, Pfade, Wege, Straßen. Was bleibt ist Wind im Haar, Sonne und Schmutz auf der Haut.
Letzte Einkaufsmöglichkeit heute…
Tag 8
Typischer Italienduft am Morgen. Holzig, Pinien und eine Meeresbrise. An einem Rinnsal 30 min gebraucht um meine Trinkblase aufzufüllen… Nachtlager an einer alten Burg mit Meerblick. Immer wieder ploppen während der Fahrt Wünsche in mir auf, Hoffnungen einer Zukunft. Ein kleiner Garten mit Hängematte, frisch gebackenes Brot mit selbstgemachter Kräuterbutter, ein Abend mit Freunden. Von da aus die Welt entdecken. Ein Surf- und Schnorchelurlaub? (Habe ich gerade Urlaub gehört, also echter Urlaub? 😉 ) Bin dabei. Irgendwas mit All you can eat wäre nicht schlecht. Da Fellnase Spaghetti nur mit Olivenöl frisst bleiben aus Rationierungsgründen Spaghetti ohne Öl für mich übrig.
Tag 9
Im Hinterland vom Bike-Paradies Finale Ligure. Vor wenigen Wochen hier noch mit Shuttle und Voll-Protektoren-Ausrüstung herumgedüst. Und jetzt sitze ich mit einem von Packsäcken umschlungenen Mountainbike mit Riesenrucksack verdreckt am Wegesrand und teile mir Vollkornkekse mit Fellnase. Was tust du hier?, fragen mich Bikergruppen. Doing some crazy shit, sage ich. Und freue mich schon auf dem Augenblick, wenn ich Rucksack gegen Fullface-Helm tausche und bergab fliege. Mittlerweile graut es mich schon sehr vor den dunkelroten Steigungen, die mir mein Radnavi anzeigt… 22% Steigung? Klaro, kein Problem. 😉
Go wherever you want. But go wild.
Tag 10
Schweiß rinnt. Ich probiere lautstark neue Flüche und eine neue Tragetechnik aus: Eine Hand am Lenker, eine am Sattel, eine Pedale auf dem Oberschenkel und bergauf gesteppt. Atemberaubender Ausblick am Pass. Hinter mir noch weiße Gipfel, vor mir das Meer. Um mich Felszacken im hellen Grün.
Tag 11
Die Sonne geht im Wolkenmeer hinter den Bergen unter. Vögel zwitschern, Fellnase schnarcht. Was für ein Wahnsinnstag. Vermutlich heute 2500 Höhenmeter bergauf geschleppt, im Hagel auf dem höchsten Punkt – dem Monte Saccarello 2201 m – gestanden. Aus dem Laubwald-Dschungel wurde ein würzig duftender, orange gebetteter Lärchenwald. Entlang der Ligurischen Grenzkammstraße schlängeln wir uns aussichtsreich wieder nach oben. Wir müssen heute noch zur Quelle, der einzigen weit und breit. Denn wenn die ausgetrocknet ist, können wir unsere Wasservorräte nicht zum Kochen aufbrauchen. Wieder ein Trail-Traum bergab und ein grandioses Finale, ausgesetzt an Felswänden entlang, teils seilversichert. Wie Ertrinkende stürzen wir in die kleine Höhle aus der es verheißungsvoll plätschert. Es ist unsere letzte Wassermöglichkeit bis zum Meer. Kurze Zeit später ab in den Schlafsack… Nachts schrecke ich auf, Pfotengetrappel ums Zelt. Wolfsbesuch um kurz vor Mitternacht.
Tag 12
Abschiedsgeschenk einer fantastischen Reise – zwei schillernde Regenbogen auf unseren letzten Kilometern. Es wurde immer wärmer und wir trotteten dahin, da die Hitze Fellnase ausbremste. Endlich am Meer und die erste Dusche seit einer gefühlten Ewigkeit. Am Strand bei einer Riesenpizza lerne ich Carlo, seine Frau Maria und die beiden Kinder kennen, mit denen ich herumtobe, während der Vierbeiner sich einfach nur langmacht. You travel a lot?, fragen sie. Well, at the moment, yes. Ich schweige kurz. I had another dream, but reality crashed in – so I am back on the street of life.
Zivilisationschock in Ventimiglia. Das ist die Welt? So viele Menschen, Autos, Lärm und Müll? Mit dem Zug zurück zum Campingplatz auf dem ich mein Auto parken durfte. Mitten in der Nacht kommen wir an. Ah yes, the girl with the bike. Ich falle todmüde in den Kofferraum. Am nächsten Tag kehre ich nachhause zurück und habe das Gefühl eher 2 Monate als nicht mal 2 Wochen unterwegs gewesen zu sein…
Bikepacking mit Hund- Alta Via dei Monte Liguri:
- Infos, GPX-Track zur Tour hier
- Von La Spezia bis Ventimiglia sind es 488 km und 21.140 Höhenmeter (ich bin ab Deiva Marina gestartet)
- Sehr viele Schiebe- und Tragepassagen
- konditionell und technisch sehr fordernd
- Ab der zweiten Hälfte keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, Hütten und die meisten Restaurants auf den Pässen hatten geschlossen (Chiuso – Stand Ende Mai)
- Trinkwasserversorgung stellenweise ein Problem, da Quellen oder Brunnen nicht immer wasserführend sind (ich bin meist mit einem Vorrat von 3 Litern gefahren – allerdings oftmals recht durstig 😉 )
- sonst? Ein richtiges Abenteuer, eine Herausforderung die seinesgleichen sucht. Fellnase, ich ziehe meinen Hut vor dir. Konditionell für einen trainierten Hund eher weniger ein Problem, nur die Hitze (am letzten Tag) ist schwer zu ertragen. Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass es viele Nachahmer gibt: das Tempo bestimmt der Hund (meist Schritt oder Trab). Hitze und wunde Pfoten sind die größten Probleme – deswegen ausreichend Wasser, Pausen und Pfotenschutzschuhe bei Bedarf.
- im Hochsommer eher weniger zu empfehlen 😉
Weitere Tourenberichte vom Bikepacking mit Hund:
- Bikepacking mit Hund – Transnevada, Spanien
- Bikepacking mit Hund – Tour du Queyras, Haute Alps de Provence
- Bikepacking mit Hund – Dolomiten
- Bikepacking mit Hund – Stoneman Dolomiti
- Bikepacking mit Hund – TransVerdon, Frankreich
- Bikepacking mit Hund – Empty Mountains, Spanish Lappland
- Bikepacking mit Hund – Wolfs Lair, Abruzzen
- Bikepacking mit Hund – Capricorns Trail, Schweiz
- Bikepacking mit Hund – Marmotsland
- Bikepacking mit Hund – Tour des Combins
Weitere Tipps für Abenteuer mit Hund :
Wintertrekking – Backcountry Skitouren – Winterzelten mit Hund
Vogel Detlef
30 Mai 2023Haben uns alles angeschaut. Es ist der reine Wahnsinn. Aber Du hast es geschafft!
Ich weiß nicht, wo Du all die Kraft hernimmst, aber diese Momente kann Die keiner nehmen.
Gruß Vati
Nico
30 Mai 2023Was für ein Abenteuer! Einfach nur krass. Trotz all der Widrigkeiten bis zum Schluss durchgezogen. Da kannst du echt stolz auf dich sein. Ich zieh meinen Hut vor deiner Leistung und gratuliere zum Erreichen des Ziels! Vielen Dank für den tollen Bericht und die schönen Bilder. Übrigens richtig schickes Bike 😀
Viele Grüße
Nico
Francie
25 Jun 2023Hey und ganz lieben Dank Nico! Das Radl hat ziemlich gelitten auf der Tour und darf sich jetzt nur noch Downhill-Trails herunterbewegen 😉