Nach dem Abitur im Jahr 2013 stand fest: ein großes Abenteuer muss her! Und was erscheint verrückter, als zu sagen: „Ich radle mal eben nach Afrika…“?
In den grauen, nasskalten Wintermonaten klang dieses Ziel wie ein ferner, verheißungsvoller Traum. Doch dann kam der erste Tag an einem Julimorgen- der erste Tag einer dreimonatigen Radreise. Mit Höhen und Tiefen, Freude und Schmerz, Glück und Enttäuschung und abertausenden Eindrücken. Und los ging es… jeden Tag immer weiter.
3 Monate lang und über 5000 Kilometer auf dieser Radreise vom Erzgebirge nach Marokko.
Vom Fichtelberg aus zogen wir gen Süden. Wir – das waren Eric und ich. Eric hatte ich kurze Zeit vorher in einem Radreiseforum kennengelernt. Eric wollte nach Venedig, ich nach Marokko. Kurzerhand haben wir beide Pläne kombiniert, natürlich die Umwege inbegriffen ;). Für uns beide war es die erste größere Radtour ins Ausland. Wären wir gefahren, wenn wir gewusst hätten, was uns erwartet? Wir als naive Elbe-, Mulde-, Spreeradwegradler? Gut, dass wir es nicht wussten. Es hat unser Leben geprägt und noch immer ist die Marokko-Radreise ein verrücktes Abenteuer, aus dem ich am liebsten nie aufgewacht wäre… einfach immer weiter radeln. Über Landes-, Material und eigene Grenzen hinaus. Der Weg führte uns über Tschechien, Österreich und Slowenien nach Italien.
In Italien legten wir einen Zwischenstopp in Venedig ein auf Wunsch meines Reisepartners, welcher nun sein eigentliches Ziel erreicht hatte. Aber bis Marokko war es noch ein Stück ;). Dann ging es erneut nach Norden – in die Schweiz! Und steil bergauf über Gotthard- und Furkapass. Dort hoch oben legten wir einen Ruhetag ein, der dringend benötigt war. Hinab ins Rhônetal, um saftige, sonnenwarme Aprikosen zu naschen und ab nach Frankreich. Das Wetter war uns hold, die Obstbäume trugen ihre Früchte und so fielen zahlreiche Vitaminsnacks für zwischendurch ab. So oft es möglich war, orientierten wir uns an Radwegen.
Nach Frankreich erwartete uns Spanien mit unerbitterlicher Hitze. Also für Nachahmer: Nicht im Hochsommer! Aber da es die erste richtig große Tour war, durfte man noch alle möglichen Fehler machen. Wenn ich an mein zu großes Rad (M statt XS) denke und die damit verbundenen Schmerzen in den Schultern oder wund geriebene Hintern… Nicht zu vergessen die billige, schwere, bunt zusammen gewürfelte „Ausrüstung“ – ultralight und funktionell ist etwas anderes. Aber es war Sommer, man war jung – da machen Fehler noch Spaß.
Nach der spanischen Hitze erwartete uns erstmal eine kühl-prickelnde Abwechslung: die Sierra Nevada. Etwas bequem (wenn man einmal die Möglichkeit hat, Kilometer zu machen mit Beine hochlegen) transportierten wir unsere Räder mit dem Bus hinauf in die Berge, stellten sie ab und schulterten einen kleinen Rucksack für zwei Bergtouren mit Übernachtung in kleinen, unbewirtschafteten Steinhütten. Frische Temperaturen herrschten auf dem Mulhacen und dem Pico del Veleta – alles Verfügbare wurde angezogen und sich nachts in die dünnen Schlafsäcke gekuschelt.
Spanien… die Höhen und Tiefen begannen. Verkehrsreiche Straßen an der Küste und keine Ausweichmöglichkeit, wunderschöne einsame Straßen durch grandiose Landschaften. Verdorbene Milch und Bauchschmerzen, herzliche Einladungen von Einheimischen zum Essen, Duschen und Übernachten. Und die Platten… unzählige erwischten mich gerade auf den Seitenstreifen der stark befahrenen Straßen. Eine Wadenzerrung, nie enden wollende Anstiege, viel zu kurze Abfahrten und erneut bergauf strapazierten den Körper und die Nerven. Doch das Ziel war schon zum Greifen nah: Gibraltar!
Gibraltar bedeutete: Ruhe, Pause, Stopp. Keine unnötige Bewegung und am besten den Tag liegend verbringen. Wir kamen bei einem Freund meines Reisepartners unter und genossen diesen Luxus ausgiebig – wenn auch nur kurz. Denn wir radelten weiter nach Alguiras (Spanien), um von dort die Fähre nach Tanger (Marokko) zu nehmen. Das war also Afrika… Wo war der Trommelwirbel, die Fahnen, die Trompeten, die in meinen wilden Tagträumen auf dem Rad so überdeutlich vorhanden waren? Da war nichts außer Gedränge, Passkontrolle und wieder aufs Rad. Und die Sonne prasselte munter weiter. Eines Tages ruhten wir uns mehrere Stunden bei Melonenverkäufern an der Straße aus. Tja, danach konnte ich eine Weile keine Melonen mehr sehen, ohne dass mir schlecht wurde…
Wir radelten bis nach Rabat. Mir ging es gesundheitlich nicht gut, ich hatte hohes Fieber, Erbrechen und Durchfall. So packten wir die Räder in Busse und suchten eine Ruheoase. Unsere Oase war Marrakesh: Dort kamen wir bei meinem Mailfreund Jamal und seiner wundervollen Familie unter. Er lehrte uns das Bogenschießen, dolmetschte mit den Ärzten im Krankenhaus (welche mir riesige Spritzen in den Po rammten!) und fütterte uns wieder fett 🙂 In Marokko war ich als weiße Frau eine Attraktion – und zudem noch auf dem Rad! From Germany! Bei spontanen Einladungen zum Essen kamen gleich die Nachbarn bzw. das halbe Dorf vorbei. Unsere Räder ließen wir in Marrakesh, damit wir in die Wüste aufbrechen konnten.
Von Zagora aus hatte ich uns eine viertägige Kameltrekkingtour organisiert. Alsbald schaukelten wir auf wiegenden Kamelrücken durch die Sahara und schliefen im Sand unter einem Sternenhimmel wie aus Tausendundeiner Nacht. Wüste ist heiß und trocken? Irrtum! Ein Sandsturm fegte über uns hinweg, sodass wir uns dicht an die liegenden Kamele schmiegten, um Schutz zu finden. Danach erwartete uns auch noch Donner und Regen – ich fror! Noch lange Zeit nach diesen Tagen in der Wüste war ich wie im Bann und sehnte mich nach dieser endlosen Weite und ihrer allumfassenden Stille.
Zurück aus der Sahara, auf in die Berge! Wir fuhren erst nach Marrakesh und Jamal entschied sich spontan uns auf der Bergtour zu begleiten. Rasch wurde Ausrüstung organisiert – ich zog mit Jamals altem Schulranzen los. Aber im Vergleich zu den Einheimischen, welche mit Prinzessin Lillifee-Flip-Flops einen Viertausender bestiegen, waren wir Profis. Das letze Mal heimkehren nach Marrakesh… nach dem zaghaften Kosten eines Schluckes Schneckensuppe rebellierte mein Körper. Fast 40 Grad Fieber, 3 Tage lang konnte ich nur Wasser trinken und der Abflugtag rückte immer näher, zusammen mit Busfahrt nach Agadir und Radeln zum Flughafen. Benommen stieg ich auf Jamals Rad, er fuhr mit meinem Schwerlasttransporter zum Busbahnhof. Viel zu schneller Abschied, sich schließende Bustüren, Küsse auf die Wange, Sprung in den anfahrenden Bus, in das zerschließene Polster sinken. Und da kamen sie. Die Tränen. Tränen des Abschiedes. Tränen der Freude und Dankbarkeit. Tränen des Schmerzes und all der da gewesenen Schmerzen. Aber am Ende waren es alle nur Abschiedstränen.
Tagebucheintrag von Sonntag, den 21.9.2013, im Luftraum über Marokko:
Der Vollmond scheint durchs Bullauge. Wie vorgestern Nacht. Mir erscheint nun jedes Wort banal und überflüssig, was ich hier niedergeschrieben habe im Vergleich zu den Gefühlen, die man nicht zu Papier bringen kann. Was soll ich sagen? Freude und Schmerz. Liebe und Leid. Hoffnung und Angst. Himmel und Hölle.
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