Bikepacking mit Hund: Marmotsland
Bikepacking mit Hund Marmotsland: Piz Kesch

Bikepacking mit Hund: Marmotsland

Tanze, als würde niemand zusehen. Liebe, als wurdest Du niemals verletzt. Singe als würde niemand zuhören. Lebe als wäre der Himmel auf Erden. (Mark Twain)

Marmotsland ist eine ca. 220 km (oder ca. 180 km) lange und ca. 7000 Höhenmeter schwere alpine Bikepacking-Tour durch den Schweizer Nationalpark in Graubünden –  durch das Land der „Marmots“ – der Murmeltiere. Eindrücke eines intensiven und anstrengenden Abenteuers: Marmotsland – Bikepacking mit Hund in der Schweiz. (Video bitte auf HD schalten 😉 )

Route entstammt bikepacking.com.

Start: Donnerstag, 15 Uhr

Dieses Abenteuer begann mit einer Nachricht an meinem Chef. „Dürfte ich montags Überstunden absetzen? Muss bissl am Radl drehen…“ „Klar, mach!“, hieß es und das Wetterfenster versprach 5 Tages halbwegs stabil zu bleiben (dass wir das gar nicht gebraucht haben… dazu später mehr).

Jetzt liege ich im Schlafsack, den halben Hund auf meinem Po. Müdigkeit macht sich breit nach den letzten ereignisreichen Tagen. Vor 24 h Stunden saß ich bibbernd und heißen Tee schlürfend in einem VW-Bus, kurz davor schwammen zwei Nackedeis bei 9°C, Regen und von Schnee gezuckerten Bergspitzen „spontan“ im See 😉 … Diese Leichtigkeit des Seins erinnert mich an meine Studienzeit. Die Nächte, zu zweit Sterne guckend, mit dem Rücken am Schornstein eines Abrisshauses. Wenn der Übergang von Tag zu Nacht fließend ist. Sich im Dunkeln nach Hause tastend. Das Gefühl, jeder Tag ist ein neues Leben. 

Als ich heute Nachmittag die ersten Höhenmeter hinter mir ließ, der Bergbach rauschte und das Tal immer einsamer wurde, wusste ich, dass es sich jedes Mal lohnt aufzubrechen. Und manchmal auch nur, weil man sich auf die Heimkehr freut. Von Scuol ging es über S-Chanf zum Pass da Costainas – der Verbindung zwischen Engadin und Val Müstair.

Auf dem Weg nach S-Charl
Auf dem Weg nach S-Charl
Pass da Costainas
Pass da Costainas
Morgenstimmung
Morgenstimmung
Auf dem Weg zum Lago di Cancano
Auf dem Weg zum Lago di Cancano
Bikepacking Marmotsland mit Hund - Val Mora
Bikepacking Marmotsland mit Hund - Val Mora
Lago di Cancano
Lago di Cancano

Freitag

Ich wache auf, höre Kuhglocken und Vogelgezwitscher, zieh mir nochmal den Schlafsack über den Kopf. Vielleicht bin ich zu bequem geworden, weil ich meist erst aufstehe, wenn mich die ersten Sonnenstrahlen kitzeln. Steil bergan ins Val Mora und über einen Traumpfad hinab zum Lago di Cancano. Vor wenigen Wochen bin ich ein Teilstück genau andersherum geradelt auf der Salt&Wine Road. Immer wieder begegnen mir Bikepacker aus aller Welt (Briten, Italiener, Australier, Deutsche…) auf ihren Ultraleicht-Gravelbikes: Teilnehmer des Bikepackingevents „Transcontinental Race“. Einer warnt mich: „Maybe you have to carry your bike.“ Ich lache: „I am a very experienced bike-carrier!“ Mit „Enjoy your climb“, rollt er bergab.

Das Transcontinental Race – gedanklich kommt es auf die Liste meiner „Nach-Fellnasen-Zeit“. Das Radeln gibt mir mehr als nur ein Gefühl von Freiheit und Lebensfreude. Wenn der Herzschlag in den Adern pulsiert, der Magen knurrt, die Zunge trocken am Gaumen klebt, die Muskeln schmerzen, das Herz die grandiose Bergwelt und die Schönheit der Natur aufsaugt – dann bleibt nicht viel Platz für Trauer.

Türkisfarben liegt der See vor uns. Steil bergan der nächste Abschnitt und noch steiler hinab nach Livigno. Dort wartet dann die zweite Portion „Tausend Höhenmeter“ auf mich. Wir schlängeln uns durch Livigno und dann traue ich meinen Augen kaum: Moment – muss ich jetzt tatsächlich 630 Höhenmeter verdammt steil bergauf schieben? Ja. 

Endlich oben am Pass Chaschauna – mit 2687 m der höchste Punkt der Route. Ein wunderschöner Flowtrail breitet sich vor uns aus. Abends halte ich die Füße ins eisige Bachwasser, kühle die Blase an der Ferse vom Schieben. Murmeltiere fiepen, Sonne und Felswände um uns… liebe es.

Lago di Livigno
Lago di Livigno
Pause bei 630 hm Schieben ;)
Pause bei 630 hm Schieben 😉
Flowtrail vom Pass Chauschana
Flowtrail vom Pass Chauschana
Erste Sonnenstrahlen
Erste Sonnenstrahlen
Liebe zum Detail ;)
Liebe zum Detail 😉
Bikepacking mit Hund Marmotsland - zur Keschhütte
Bikepacking mit Hund Marmotsland - zur Keschhütte

Samstag

Draußen tröpfelt der Regen. Wir liegen in einem winzigen Hüttchen, das als Holzlager dient inmitten von Holzspänen – die Isomatte hat gerade so Platz. Vor uns schimmert der Lai da Palpuogna kurz vorm Albulapass. Was für ein Tag! Verregnete Nacht, sonniger Morgen. Die Wolkenschlange ruht noch im Tal. Wir rollen nach S-Chanf und von da bergan das Tal zur Alp Funtauna. Dort schubst mich doch tatsächlich ein Pferd vom Rad, indem es mich seitlich rammt! Nicht mit mir Freundchen und bei den nächsten Rammattacken halte ich gegen. Die Alpwirtin rät mir, den Vierbeiner in den folgenden Kuhherden abzuleinen – er wäre für die Kühe der Wolf – um meine Überlebenschance zu erhöhen. Wir folgen einem holprigen Pfad leicht bergan, Kirgistanfeeling kommt auf. In den aufgeregten Kuhherden dirigiere ich den Vierbeiner mit rechts, links, lauf! aus der Herde heraus. Es ist trotzdem ein Spießrutenlaufen. Gerade habe ich eine kuhfreie Zone entdeckt, gönne mir ausgehungert Müsli zum Mittag, da kommen sie auch schon zu gefühlten Hunderten angaloppiert. Der Fellnase gebe ich den Befehl zur Flucht, während ich tapfer mein Müsli verteidige. Dreimal durchatmen als ich den Elektrozaun erreiche. Aber der Vierbeiner fehlt und traut sich nicht durch die Herde. Ich lasse das Rad hinterm Zaun zurück, eile herbei und bahne mir mit dem Hund einen Weg durch die Kühe, Mexx mit meinem Körper schützend und mit lauten Hoooo!-Rufen mir Respekt verschaffend. 

Weiter bergan schiebend und schnaufend bis zur Keschhütte – dort werden wir mit großen Augen angestarrt. Dass hier E-Biker hochkommen, okay. Normale Mountainbiker mit Mini-Rucksack, auch. Aber Schwertransporter mit Hund? 😉 Wir starren derweil auf den Gletscher und den imposanten Gipfel. Bergab arg durchgeschüttelt und die Bremsen bis Anschlag nach Bergün. Auf dem Weg zum Albulapass werden wir eingeregnet. Schlotternd entledige ich mich meiner klitschnassen Kleidung, krieche in den Schlafsack, einen dampfenden Topf Nudeln zwischen den Oberschenkel und ein müder Hundekopf obenauf. Vielleicht überlässt mir der gnädige Herr Hund heute ja die Hälfte der Isomatte.

Blick zur Alp Funtauna
Blick zur Alp Funtauna
Bergauf zur Keschhütte
Bergauf zur Keschhütte
Piz Kesch in Sicht
Piz Kesch in Sicht
Abfahrt nach Bergün
Abfahrt nach Bergün
Regenlager ;)
Regenlager 😉
Lai da Polpuogna
Lai da Polpuogna

Geschafft: Sonntag, 13 Uhr

Die ersten Sonnenstrahlen fallen in unsere Holzhütte, still schimmert der See. Zügig erklimmen wir die letzten Meter auf der Passstraße um wohlverdient oben in den Albula Bike Trail abbiegen zu dürfen. Teils flowig, teils holprig bergab durch intensiv grünes Gras, schillernde Bergbäche, Wolken in allen Grautönen, sonnendurchsetzt. Kühe bemuhen unser Kommen. In La Punt auf den Radweg – noch 54 km bis Scuol. Ich schaue den Vierbeiner an. Schaue auf die Uhr – 10:30 Uhr. Nee, entspanntes Talradeln ohne Hundeanhänger macht keinen Spaß. Wir steigen in den Zug. Und meinen Ausgleich-Montag? Nach Wäsche und Ordnung schaffen ruft da wohl bei 10 h Sonne der Bikepark morgen – Tiefenmeter statt Höhenmeter 🙂

Albula Bike Trail
Albula Bike Trail
Abfahrt nach La Punt
Abfahrt nach La Punt

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