Soweit die Füße tragen… und noch ein bissl mehr… (Mantra während der Tour)
Der GR 20 auf Korsika gilt als der härteste und zugleich schönste Fernwanderweg Europas. Ich kann die beiden Adjektive unterschreiben, allerdings hat der Nordteil weniger mit Wandern, sondern mehr mit einer mehrtägigen alpinen Bergtour bis in den zweiten Klettergrad zu tun 😉 . Eindrücke vom Trekking mit Hund auf dem GR 20 Nord im Oktober. Wir waren 4,5 Tage autark und selbstversorgend mit Zelt unterwegs (Tagesetappen ca. 11 h).
Video bitte in HD schauen.
Der Wind streichelt sanft durch die Kieferäste, welche bunt geschmückt von meinen nassgeschwitzten Klamotten sind. Wie ein tiefroter Feuerball bricht die Sonne durch die Wolken und verschwindet sekundenschnell im Mittelmeer. Wir biwakieren windgeschützt zwischen Felsen und halbhoch aufgestapelten Steinen, während sich langsam die Nacht über uns legt. Dick in die Daunenjacke gemummelt recke ich meine Nase in den Wind und fühle, dass ich angekommen bin. Hier mit Rucksack und Zelt, eine Fellnase eng an mich gekuschelt – auf dem GR 20 in Korsika. Die letzten Minuten bevor wir zu dritt (acht Pfoten diesmal – wir haben die wunderbare Begleitung vom zweibeinigen Maxi 😉 ) von Calenzana gestartet sind, bin ich vor Ungeduld und Vorfreude wie ein Flummi auf und ab gehüpft. Endlich wieder Bewegung, Abenteuer, Draußensein, Neues entdecken. Und die erste Trekkingtour seit fast anderthalb Jahren nach der Aktion im Val Grande… Und jetzt Stille in mir, ein tiefes ruhiges Seufzen, dann zieh ich mir die Kapuze über den Kopf und eile zu unserem Zelt, um es noch fester abzuspannen und vorm Davonfliegen zu sichern. Das mit dem „windgeschützten Platz“ muss ich wohl bei der nun aufbrausenden Sturmstärke zurücknehmen…
Sturm setzt ein mit Geschwindigkeiten bis knapp 120 km/h und tobt ohne Unterlass. Nur zweimal gelingt es mir in der Nacht kurz wegzudämmern, komische Sachen zu träumen, bevor ich von einer mir ins Gesicht schlagenden Zeltplane wieder aufschrecke. Sonst tue ich kein Auge zu und bete, dass mein Zelt nicht reißt und wir auch nicht wegfliegen. Wie neben mir und zu meinen Füßen sowohl Zwei- als auch Vierbeiner geruhsam schlummern können, ist mir ein Rätsel. Aus dem kleinen Regenschauer um Mitternacht mit prognostizierten 1 bis 2 mm Niederschlag werden gefühlte 100 mm, wenn ich dem lauten Prasseln eher Glauben schenke als dem Wetterfrosch. Erst gegen 10 Uhr vormittags geht die Sintflut in ein Nieseln über und wir brechen bei Whiteout und fortwährend tobendem Sturm auf. Umgeben von grauen Wolkenfetzen und Null-Sicht stampfen wir nass durch den dampfenden Regenwald. Die Pfade gleichen Sturzbächen und die Kraxelei über die Felsen wird ein rutschiger Balanceakt.
Die Sonne setzt sich durch das Wolkengrau und wir trocknen mittags unsere Sachen am Refuge d’Ortu di u Piobbu. Über wegloses Blockgelände ackern wir uns zum nächsten Pass, verlaufen uns dabei. Blasse Wegmarkierungen erfordern höchste Aufmerksamkeit. Nun folgt ein endloses Bergauf und Bergab auf knapp 2000 m Höhe mit vielen Kletterstellen, die Mexx jedoch souverän, mit nur teilweise benötigtem händischen Hundelift, meistert. Nur langsam machen wir Strecke bei dem anspruchsvollen alpinen Gelände. Immer wieder ziehen uns die rot weißen Markierungen bergauf in die nächste Kletterei, durch gigantische Felszacken hindurch, dahinter schimmert das Meer. Doch nach der Bocca di Ilnnominata geht es nur noch bergab zum Refuge Carrozzu. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schlagen wir unser Zelt auf einem der vielen Biwakplätze vor der Hütte auf. (Das letzte Bild zeigt eine alpine Wegvariante vom Folgetag über den Grat oberhalb von Haute Asco – nicht der Originalweg – auch hier hatten wir uns verlaufen bzw. verklettert.)
Den Blick fokussiert auf den Fels vor mir, die Augen suchen nach Wegmarkierungen, nach Steinmännchen, die Hände nach Halt, die Schuhspitzen ebenso. In die Stille hinein mein angestrengtes Keuchen. Ich halte kurz inne, dann ein leiseres Keuchen hinter mir, ein Stupser in meinen Oberschenkel und ich kraule flauschige Hundeohren. Wir sind wie immer auf dieser Tour ohne Frühstück vom Biwakplatz aus gestartet und erklimmen in der schattigen Felsschlucht die ersten Höhenmeter. Zuerst über eine wacklige Hängebrücke, dann durch Blockgelände und über steile Felsplatten. Vorbei am Lac di a Muvrella zur Bocca di a Muvrella. Dort warten die ersten Sonnenstrahlen und ein wohlverdientes Frühstück auf uns. Wir steigen nicht der Originalroure folgend nach Haute Asco ab, sondern wählen die alpine und direkte Variante über den Grat Richtung dem sogenannten Kessel der Einsamkeit, dem Cirque de la Solitud. Wir verlaufen bzw. verklettern uns und landen in einer Verschneidung mit steiler Felsplatte. Mühsam kämpfen wir uns zurück auf dem Weg und folgen nun höchst aufmerksam den Markierungen.
Wir wählen die Route durch den Cirque de la Solitud und damit den ehemaligen Verlauf des GR 20, bevor dieser nach einem Bergsturz, bei dem 7 Menschen starben, offiziell gesperrt wurde. Heute ist er als „Variante für Profis“ im Wanderführer beschrieben. Da steht auch: Niemand sollte den Weg allein gehen. Ich genieße den Luxus und die Sicherheit eines zweibeinigen und zugleich alpin sehr erfahrenen Gefährten neben dem Vierbeiner und so wagen wir uns in die Felsschlucht. Alle früheren Sicherungen wie Ketten und eine Leiter wurden mittlerweile zurückgebaut, die Wegmarkierungen überwiegend braun übermalt. Mit GPS-Track und Gespür tasten wir uns bergab und klettern vorsichtig, die Fellnase gesichert und an steilen Stellen zu zweit unterstützend. Die Schwierigkeit bleibt aber etwa im zweiten Grad. Schlüsselstelle wird eindeutig die nahezu senkrechte und exponierte Steilstufe, an der früher die Leiter angebracht war (siehe letztes Bild oben). Als wir endlich erschöpft, aber unglaublich erleichtert den Pass erreichen, küsst die Sonne schon die Bergspitzen. Zum Luft holen bleibt wenig Zeit – denn der Weg zum Refuge Tighiettu zieht sich endlos mit einigen Gegenanstiegen hinab.
Nur leise säuselt der Wind ums Zelt. Wie wohltuend mal nicht im Dauergetöse eines Sturms zu sein. Gerade ist die Sonne hier oben auf dem San Pedru Pass hinter glühenden Wolken untergegangen. Die Füße und Beine schmerzen, obwohl uns heute ein verhältnismäßig „entspannter“ Tag vergönnt war. Denn nach der Bocca Minuta gestern hat sich das Landschaftsbild verändert. Davor noch von senkrechten riesigen Felstürmen und tiefen Schluchten geprägt, empfängt uns nun eine weite, offene Landschaft. Das heißt: ausnahmsweise mal nicht tausend Kniebeugen am Tag über Felsblöcke sondern nur fünfhundert. Und es ist sogar möglich, den Blick von den Füßen zu heben, da man tatsächlich wenige Sekunden Stolperfreiheit auf dem Pfad genießt. So humpele ich mit wunden, frisch getapten Füßen bergab in Virjutal, bevor wir die nächsten steilen Höhenmeter zum Refuge Ciuttulu di i Mori erklimmen, welches direkt unter einem beeindruckenden Felsentor liegt. Wir folgen dem tosenden Bergbach Golo bergab, der auf seinem Weg ins Tal zahlreiche Gumpen zum Baden bildet. Sehr sanft wandern (ja diesmal kann man das auch als Wandern bezeichnen 😉 ) wir wieder bergan und bauen unser Nachtlager auf. Ich teile mir mit der Fellnase mein Gemüserisotto. Er schleckt so ungeduldig, dass die kostbaren Reiskörner aus der Schüssel fallen und ich ihn mit dem Löffel häppchenweise füttere. Für uns alle wird das Futter knapp…
Wir stehen kurz vor Sonnenuntergang auf unserem letzten, hart erkämpften Pass, dem Bocca Muzzella. Nach einem nahezu windstillen Tag stürmt es hier oben erneut. Die Wolken werden aus dem Tal rasant die Berge hinauf getrieben und zerfließen am Grat. Hinter uns thronen gigantische Granittürme über tiefblau funkelnden Bergseen. Vor uns glitzert die Abendsonne ins Meerblau und lässt die Berge erröten. Unser letzter Biwakplatz am Refuge Petra Piana liegt vor uns. Ein wundervoller Tag durch die liebliche Bergwelt um den Lac de Nino hinter uns. Grasende Kühe, orange leuchtende Buchen, gluckernde Bergbäche. Der letzte steile und anspruchsvolle Kraxelanstieg und dann ein „leichtes“ (okay, ich habe seeeehr viel geflucht) Bergauf Bergab auf Höhe des Grates um die drei Seen herum. Abendessen im Stirnlampenschein. Morgen erwartet uns die letzte Etappe und der Abstieg zurück zum Auto.
Nicht mal 24 Stunden später und wir sitzen am Meer, genießen eine Riesenportion Reis mit extraviel Parmesan. Ich schnorchele im Taschenlampenschein mit den Fischschwärmen. Am nächsten Morgen springe ich erneut ins Wasser, dann trete ich den Weg zurück nach Tirol an. Maxi reist derweil weiter nach Tunesien mit seinem Landrover. Und nun, erneut 24 Stunden später, denke ich über meine noch vor kurzem geäußerten Worte nach: „Nie wieder gehe ich wandern! Was für eine Schinderei…“ Da sprachen wohl die wunden Füße, der Hunger, die schmerzenden Knie und der Muskelkater aus mir. Denn jetzt im windstillen und warmen Zuhause ist das alles vergessen. Was bleibt, sind unvergessliche Augenblicke, ein gemeinsames Abenteuer und die Sehnsucht… nach den Sonnenuntergängen und dem Wind, der vom Meer kommt und die Berge umspielt…
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Selim
17 Okt. 2024Hallo Franzie,
also mich hätte auch sehr gewundert, wenn du *nicht* den Abstecher zum Cirque de Solitude gemacht hättest:P
Viele Grüße, Selim
Francie
22 Okt. 2024Hallo Selim, tja, das hätte mich auch sehr gewundert 😉