Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun. (Mahatma Gandhi)
Zahlreiche Höhenwege ziehen durch das faszinierende Reich der Dolomiten. Ein Reich aus schroffen Felswänden und riesigen Türmen. Doch nur ein Höhenweg kann ohne Klettersteig begangen werden: Der Dolomiten Höhenweg Nummer 1 (Abstieg nach La Muda und nicht nach Belluno). Und diesen haben wir uns äußerst spontan zu einer menschenleeren Zeit (Ende Oktober) auserkoren. Eindrücke vom Trekking mit Hund auf dem Dolomiten Höhenweg Nummer 1 – 120 km, 6800 hm bergauf autark und selbstversorgend in 5 Tagen. Video bitte in HD schauen.
Samstag, 26. Oktober 2024
„Nie wieder gehe ich trekken!“ Es ist noch nicht mal zwei Wochen her, als ich lauthals die täglich tausend Kniebeugen auf dem GR 20 in Korsika verfluche.
Etwa 48 Stunden, bevor ich Toblach ins Autonavi eingebe, kam mir die Idee den Dolomiten Höhenweg Nummer 1 zu begehen. Ende Oktober. Hütten geschlossen. Keine Menschen. 120 km autark durch die Berge mit Nachtfrost. Wetterfenster gecheckt, mal wieder äußerst kurzfristig Urlaub eingereicht, anderweitige Verabredungen und Interviews verschoben (wobei ich ein Schmunzeln erntete mit den Worten „ich habe dein Buch gelesen, mich wundert nichts mehr“ 😉 ).
Gestern war ich noch mit meiner Freundin Claudi und Mexx auf der Serles, dem Hochaltar Tirols, heute unterwegs in die herbstlich wilden Dolomiten. Noch bis spät in den Abend hinein wurden gestern Sachen gepackt, heute morgen im Dunkeln die Haustür ins Schloss gezogen. Ja, ich gestehe: kurz war der Gedanke da und wehmütig trauerte ich genauso kurz dieser Option nach: Man könnte sich auch einfach die Bettdecke über den Kopf ziehen und liegen bleiben. Aber die aufkeimende Stimme der Vernunft (es wird sauanstrengend, arschkalt und könnte unter Umständen etwas weh tun bzw. Essen und Hundefutter für fünf Tage schleppen ist mehr als nur ein Ganzkörperworkout…) hatte gegen meinen explodierenden Aktionismus keine Chance.
Als die Sonne schon hinter den Sextner Dolomiten hervorlugte, saßen wir bereits im Bus Richtung Pragser Wildsee, dem Startpunkt des Höhenwegs Nummer 1. Tauchten ein in die von pinken Regenschirmchen angeführten Touristengruppen und ließen diese auch schon nach wenigen Minuten hinter uns. Nämlich als es anfing, anstrengend zu werden. Steil bergauf Richtung Ofenscharte auf knapp 2400 m unter den glatten, grauen Felswänden des Seekofels. Mir fehlt der Sauerstoff zum Fluchen, alles wird für meine Beine benötigt. Schweiß rinnt von meiner Nase, welchen ich mit der Zungenspitze auffange, um wahrlich mit meinen Elektrolyten zu haushalten.
Neben uns an der Scharte malmt ein Steinbock in aller Ruhe sein dürres Grasbüschel. Klitschnass geschwitzt im Aufstieg, obwohl ich bei der Herbstkühle nur Top und Shorts trage, hier oben ziehe ich mir nun alles an, was ich habe. Daunenjacke, Thermolaufhose, Goretexjacke drüber, Handschuhe und Mütze. Wir verschwinden in Wolkenfetzen, die der Wind vor sich hertreibt und laufen weiter zur Sennes Hütte, bevor der Abstieg nach Pederü beginnt und ehe sich der Weg in die Faneshochebene hinaufschlängelt. Erinnerungen an Skitouren werden wach. Und ebenso, wie ich voriges Jahr auf dem selben Weg bergauf mein Bikepacking Rad zur Faneshütte schob. Gegen Abend erwischt uns eine Nieselattacke, verfroren krieche ich in den Schlafsack, meine Füße unter dem warmen Hundebauch versteckt. Atemwolken stehen in der Kälte der Nachtluft. Und nein, ich vermisse nicht meine Bettdecke. Ich bin draußen, frei und lebendig. Und ich liebe es.
Sonntag, 27. Oktober 2024
„Einen Wolf laufen“ heißt sich Hautstellen, zum Beispiel die Oberschenkelinnenseiten, wund zu laufen, weil Haut an Haut scheuert oder die Unterwäsche reibt. In Kombination mit Stauhitze und Schweiß ein schmerzhaftes Unterfangen, besonders wenn man weiß, dass noch 100 Kilometer warten… Also den breitbeinigen Gang eingelegt, ordentlich Hirschtalgcreme auf die Reibestellen gepackt und auf die Unterwäsche verzichtet. Meine Stimme der Vernunft erinnert mich an den gestrigen Vorschlag des Liegenbleibens…
Nachts fallen die Temperaturen unter die Frostgrenze. Mein winziges Zelt ist ein von der gefrorenen und wieder aufgetauten Nachtfeuchte nasser Lappen. Es ist Sandmannzeit und ich bin hundemüde. Am Morgen erhaschten wir die ersten Sonnenstrahlen in der einsamen Faneshochebene, schwitzten uns die nächste Scharte empor, an deren Fuß ein türkiser See schimmerte. Die Lagazoihochebene mit den eingeschneiten Tofanen, der Blick auf die Cinque Torri – so oft war ich schon hier. Zu Fuß, mit Ski oder Rad, kletternd – und trotzdem staune ich immer wieder aufs Neue, den Kopf in den Nacken gelegt und blicke an den senkrechten, riesigen Felswänden empor.
Montag, 28. Oktober 2024
Eine Wolke schiebt sich durch die Forcella Val d’Arcia auf knapp 2500 m und löst sich dann auf. Wir keuchen bergauf durch steiles Geröll, zwei Schritte vor, einer zurück, umrahmt von den gigantischen Mauern des Monte Pelmo.
Obwohl die Temperaturen nur im einstelligen Bereich liegen, trage ich erneut nur so wenig wie möglich (Shorts und Top). So gelingt es mir, trotz hohem Tempo nicht zu sehr zu schwitzen. Denn nichts, wirklich nichts ist furchtbarer, als bei Kälte nassgeschwitzt im Wind zu frieren.
Von der Forcella d’Arcia führt ein anspruchsvoller Weg bergab, bevor wir höhehaltend durch sonnendurchflutete Latschenkiefern und bunte Herbstwälder schlendern.
Dienstag, 29. Oktober 2024
Stirnlampenschein erhellt die Holzwand vor mit. Zu meinen Füßen schnarcht der Vierbeiner auf der Isomatte. Ein wunderbar weiches, warmes Bett hier in diesem kleinen Winterraum des Rifugios Bruto Carestatio. Welch ein Luxus nach diesem Tag.
Immer härter werden die Kilometer zum Tagesende hin. Immer zäher werden die wie langgezogener Kaugummi nicht enden wollenden Höhenmeter. Heute morgen bummelten wir etwas herum, denn zum ersten Mal konnten wir inmitten von Raureif in der Sonne frühstücken, während der Monte Civetta rosa glühte. Schnaufend bergauf zum Lago di Coldai, eiskalt gelegen im Schatten der mächtigen Civettanordwände, an deren Fuß entlang wir lange unterhalb der schwindelerregenden Türme bis zum nächsten Pass queren, ehe wir zur Mittagszeit das nächste Mal wieder Sonne erhaschen. So langsam merke ich meine Füße, die bereits an den Vorabenden bis weit nach Mitternacht schmerzten, sodass ich kaum schlafen konnte. Eine Überanstrengung der Fußsohle – der Plantarfaszie? Mmh. Auch Mexx Pfoten merken die kantigen Steine und die Kraxelei über Geröll und Blockfelder. Er trabt mit seinen neonorangen Pfotenschützern wie ein drolliges Pantoffeltierchen neben her. Wälzt sich in jedem verfügbaren Grasflecken, denn etwa die Hälfte am Tag hat der Vierbeiner Gepäcktransport und ich Schlepperei hoch zwei. Wir balancieren über die Felsen, rascheln durch braunes Buchenlaub und kraxeln über dicke Baumwurzeln.
Die Sonne ist schon untergegangen, das Amphitheater um uns herum glüht und die Hütte – da ganz vorn auf dem Adlerhorst – will einfach nicht näher kommen. Im letzten Grau der Dämmerung suche ich nach einer Wasserquelle, denn um zum nächsten Bach abzusteigen, bin ich tatsächlich zu faul. Das Einzige, was ich finde, ist eine Plastikplane, in der sich eine Lache etwa einwöchig altes Regenwasser, verziert mit Lärchennadeln und toten Riesengrashüpfern, gebildet hat. Okay, dann testen wir mal den Wasserfilter, ob er nicht nur eine Attrappe ist. Brüderlich teilen wir uns die letzte Packung Vollkornspaghetti. Und ich nehme doch noch vorsorglich eine Kohletablette.
Am nächsten Tag erwartet uns die letzte Etappe, der lange Abstieg ins Tal und eine rasante Busrückreise nach Toblach. Wir winken dem Piave aus dem Fenster zu – in Erinnerung an unser Wildwasserabenteuer – und ich fange bereits wieder an zu träumen…
Hinweise:
Die Wege sind bis auf einzelne Kraxelstellen und exponierte Passagen gut zu begehen. Lokal befinden sich auch Drahtseilversicherungen. Mexx benötigte maximal leichte Unterstützung (kurzer Schub am Po, kurzes Hochziehen über eine Steilstufe oder Sicherung an ausgesetzten Stellen). Wer nach La Muda absteigt, umgeht den Klettersteig Richtung Belluno. Wir haben nur sehr wenige Menschen auf dem Weg getroffen (außerhalb der Hotspots Pragser Wildsee, Lago Federa etc.). Das Biwakieren im Rahmen einer alpinistischen Unternehmung (wohin meiner Meinung nach das autarke Begehen eines Höhenwegs in der Off-Season in der Hälfte der empfohlenen Zeit gehört) befindet sich in einer Grauzone der Legalität. Wo immer es möglich ist, empfehle ich auf Winterräume oder andere Unterstände, Biwakschachteln etc. auszuweichen. Und natürlich: Hinterlasse keine Spuren!
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