Trekking / Klettersteig mit Hund im Val Grande – Into the Wild
Trekking mit Hund im Val Grande

Trekking / Klettersteig mit Hund im Val Grande – Into the Wild

Wenn heute zu mir jemand sagt, das hat noch keiner gemacht, du wirst scheitern, dann sage ich: Ja, super, dann kann ich der Erste sein. (Jonas Deichmann)

Das Val Grande, nördlich des Lago Maggiores gilt als der einzig richtige Wildnispark in den Alpen. Überwiegend nur unbewirtschaftete Selbstversorgerhütten, verfallene Alpen, die Unzugänglichkeit von schroffen Felsschluchten geprägt. Schon lange stand ein Trekking in dieser Wildnis auf meiner Wunschliste. Getraut habe ich mich lange nicht – zu einschüchternd waren die Berichte über abgestürzte und verunglückte Wanderer oder welche, die im Fluss bei Starkregen ertranken. Mein aktuelles Lebensmotto: Just do it now –  zwei Stunden, nachdem ich die finale Entscheidung zum GO! getroffen hatte, war ich allein mit Fellnase auf dem Weg.

Ein Erlebnisbericht zum Trekking mit Hund im Val Grande – und auf dem berüchtigten 10 km langen Klettersteig, dem SchluchtenwegVia Ferrata Selvaggio Verde.

Blick auf die Viertausender, mutterseelenallein auf der Nordseite
Blick auf die Viertausender, mutterseelenallein auf der Nordseite

Cheryl Strayed wanderte in „Der Große Trip – Wild“ allein den 4265 km langen Pacific Crest Trail, nachdem sie Mutter und Partner verloren hatte. Nun, da ich als alleinerziehende Hundeopi-Mama nicht einfach so den PCT laufen kann (wohl eher würde ich mir mein Radl schnappen und für sehr lange Zeit verschwunden sein 😉 ), packe ich den Vierbeiner und den Rucksack für ein Trekking im Val Grande mit Hund – quasi „Der kleine Trip – Wild“ 🙂 . Dass diese ganze Aktion dann eher in einem kilometerlangen Klettersteig endete… nunja. Ein bisschen Herausforderung im halbwegs sicheren Rahmen hat noch niemandem geschadet. 

Schluchtenweg im Val Grande
Schluchtenweg im Val Grande

Donnerstag:
Sonnenuntergang am Lago Maggiore. In der Dunkelheit, die wohl kurvigste und schmalste Bergstraße hinauf nach Cicogna. Absolutes Funkloch. Ich quetsche den Autowagen im ersten Gang zwischen Fels und Leitplanke hindurch. Holpere offroad, bis ich irgendwann am Wegesrand anhalte, den Schlafsack ausrolle. Willkommen im Val Grande. Rehe blinzeln im Schein meiner Stirnlampe.

Herrliche Badegumpen!
Herrliche Badegumpen!
Der Rio Val Grande - ständiger Begleiter
Der Rio Val Grande - ständiger Begleiter

Freitag: 
Der Vierbeiner wühlt mal wieder wie von Sinnen im Laubhaufen. Eher als geplant habe ich hier die einzige halbwegs flache Stelle zum Notbiwak auserkoren. Ich liege auf der Isomatte zwischen Felsen und wildem Bärlauch, unter mir rauscht der Rio Val Grande und lasse den Tag Revue passieren. Klassisch auf den ersten Metern verlaufen und in die falsche Schlucht abgebogen Also alles zurück und über einen Shortcut auf den GPX-Track. Wackelige Gitterrosthängebrücken, Holzbrückenkonstrukte entlang von Felsen, die am Ende teils abgebrochen waren und man sich recht waghalsig zurück auf den Pfad retten mussten. Eine Sicherung über Eisenketten und Drahtseil war jedoch ständig vorhanden (zum Glück!). Ein horizontaler, kilometerlanger Klettersteig, der Selvaggio Verde. Der Pfad kaum erkennbar, schmal, ausgesetzt. Unter uns ein kristallklarer, ständiger Begleiter, während wir oberhalb in der Felsschlucht kraxelten. 

Selvaggio Verde mit Hund
Selvaggio Verde mit Hund
Leiter auf dem Selvaggio Verde
Leiter auf dem Selvaggio Verde

Huch, die sollten die Brücken mal erneuern, denke ich mir noch, als wir diesen Abschnitt überwunden haben. Normale Menschen gehen da bestimmt nicht lang. Prompt passieren wir ein Schild, welches den zurückliegenden Pfad als „hochgefährlicher Weg“ betitelt und von einem Betreten abrät. Sowas am Beginn wäre auch ganz nett… aber vermutlich haben wir aufgrund unseres Verlaufens den offiziellen Einstieg nicht gefunden. Nach diesem ersten kurzen, etwas wackeligeren Abschnitts sind die Drahtseilsicherungen nagelneu und man befindet sich in einem endlos langem Schluchtenklettersteig, immer mal wieder Gehgelände, dann wieder eine mehr oder weniger schwere Klettersteigpassage. Challenge accepted, murmele ich jedes Mal, wenn ich mir mit Fellnase die neue Schwierigkeit anschaue. 

Selvaggio Verde
Selvaggio Verde
Leichter Überhang
Leichter Überhang

Der Fluss ist traumhaft schön, wie er dahinströmt und zwischen den Felsen tiefe Gumpen zum Baden entstehen lässt. Oh no, sage ich, als ich bemerke, wie der Fluss hier gequert werden soll. Eine Hängebrücke, bestehend aus EINEM!!! Drahtseil. Okay Fellnase, wir müssen irgendwie durch den Fluss. Ich springe und klettere von einem Riesenkieselstein zum nächsten, den Rucksack des Vierbeiners in der Hand. Kurz vor dem rettenden Ufer: ein großer Sprung auf eine glatte, steile Platte. Mit viel Schwung versuche ich den Hunderucksack in eine Felsmulde seitlich zu werfen. Hält, hält… hält nicht und die Packtaschen treiben im Wasser. Ich fluche und springe hinterher. Nass, aber sicher am anderen Ufer. Nur der Vierbeiner steht noch in der Mitte und weiß nicht wohin. Ich ermuntere ihn zu schwimmen. Lotse ihn zu mir und ziehe ihn dann am glatten Fels aus dem Wasser. Was für eine Aktion! So triefend nass habe ich wenig Lust 4 Stunden bis zur Biwakhütte zu laufen und wähle die nächstbeste Möglichkeit um Sachen zu trocknen. Kein Wunder, dass hier Wildnis ist. Das Gelände besteht nur aus steilen Felsschluchten. Keine Menschenseele, die nicht etwas lebensmüde ist, wagt sich hier vor. 

Drahtsteilbrücke auf dem Selvaggio Verde
Drahtsteilbrücke auf dem Selvaggio Verde
Badezeit zur Flussquerung ;)
Badezeit zur Flussquerung 😉
Steilstufe oberhalb des Wassers
Steilstufe oberhalb des Wassers

Samstag:
Mit Daunenjacke, Sonne im Gesicht, Fellnase zu Füßen zwischen weißen Krokussen bestaune ich stumm die Viertausender am Horizont. Den Klettersteig haben wir mittlerweile hinter uns gelassen – der Selvaggio Verde mit Hund – das war also der berüchtgte Schluchtenweg im Val Grande! Eine zweite Drahtseilbrücke über den Fluss haben wir auch mit mutigen und diesmal trockenen Sprüngen durch den Fluss gemeistert. Nach den verlassenen Biwakhütten der Alpe La Piana leitet uns eine wackelige Hängebrücke raus aus der Schlucht und wir kommen ins alpine Gelände, mitsamt Schnee. 

Urige Selbstversorgerhütten
Urige Selbstversorgerhütten
Mittagspäuschen in der Sonne
Mittagspäuschen in der Sonne
Hängebrücke ole!
Hängebrücke ole!
Trekking mit Hund im Val Grande
Trekking mit Hund im Val Grande

Sonntag:
Ein fröstelnder Morgen. Die Viertausender glühen rosarot, leichter Nebeldunst in den Tälern. Über Schneefelder wage ich mich von der Alpe Scaredi bis zum nächsten Pass. Keine Spuren hier auf der Nordseite. Wir stehen zweifelnd mit Grödel an den Füßen dem vereisten steilen Hang gegenüber, den wir queren müssten (also ich mit den Grödeln, der Vierbeiner hat seine eh integriert 😉 ). Zeit für Plan B? Umkehren bringt wenig, nur als Notoption, denn von dort aus kommen wir dann nur mit Taxi zurück zum Auto. Und den Klettersteig retour? Nee danke, das war genug Schinderei. Ich schau den Berg hinauf: Blockklettergelände, etwas Schnee, etwas Gras. So unlogisch es klingt, wir klettern lieber über den Gipfel – müssen es nur zur Südseite schaffen. Eine letzte steile Rinne empor – Sonne im Gesicht – jippie! Zeit fürs Frühstück mit Blick aufs Matterhorn. Auch hier wieder Schneefelder. Und auf zur nächsten Alpe. Schlafsäcke einer Familie hängen zum Trocknen in der Sonne. Große Hundepfotenabdrücke im Schnee. Weiter unten im Wald versinken wir wieder im tiefen Laub. Erneut geht es bergauf, der letzte Pass, wieder Nordseite. Grödel an und steil bergan gesteppt. 

Über Umwege zum Ziel
Über Umwege zum Ziel
Alpenglühen...
Alpenglühen...
Tobeminütchen am Nachmittag ;)
Tobeminütchen am Nachmittag 😉

Ich liebe das Piemont für seine Wildheit, seine Einsamkeit. Für die Einfachheit der spartanischen Biwakhütten. Ich liebe das Draußen sein. Das An-Grenzen-Gehen, Neues entdecken. Das Wasser finden entlang von Tierpfaden vom Nachtplatz aus. Fellnase folgt auf Schritt und Tritt. Das Dreck-reinigt-den-Magen-Achselzucken, wenn der Durchschnitt ein zersetztes Laubblatt pro ein Liter Trinkwasser ist 😉 .

Auch wenn ich oftmals lieber mit dem Rad unterwegs bin, zu Fuß gelangt man an die wildesten Orte. So rolle ich meine Isomatte nahe einer Alpe aus. Bereit zum ersten Ganzkörper-Sonnenbad dieses Jahr. Und nach dem Laufen? Diese stillen Stunden des Nichts-Tuns. Des Dösens, Schauens und Lesens. Die Leichtigkeit des Seins hier oben auf unserem Adlerhorst.

Wunderschönes, wildes Piemont - Trekking mit Hund im Val Grande
Wunderschönes, wildes Piemont - Trekking mit Hund im Val Grande

Montag:
12 Uhr. Riesenpizza am Ufer des Lago Maggiore – brüderlich geteilt. Auf dem WC das Restaurants blicke ich mich zum ersten Mal seit fünf Tagen im Spiegel an. Dreck im Gesicht, Hände und Arme zerkratzt, Laub und Zweigstückchen im Haar. Etwas wild, pardon, denke ich mir -funkelnde Augen inklusive. Die Italiener wollen wissen, aus welcher Höhle ich denn gekrochen bin. So erzähle ich, dass ich mehr oder weniger aus Versehen auch den alten, noch nicht sanierten Teil des Selvaggio Verde, des Schluchtenweges mit Hund gegangen bin, somit den ganzen Klettersteig und insgesamt vier Tage in der Wildnis war. „Weren’t you afraid?“ – „Oh well, it was okay, only a bit challenging….“ – „This woman has more power than we all together“, höre ich sie murmeln, als ich mich wieder meiner Pizza widme. Maybe. Perhaps. Aber definitiv Hunger für Vier! 😉

Der Abstiegstag verlief ruhig und harmlos auf verhältnismäßig guten Pfaden. Das Herausfordernste war eher die Bergstraße heil runter zukommen – nachdem man mehrmals mit 8 Autos (4 hoch, 4 runter) Tetris spielte in Haarnadelkurven und ich vermutlich die Hälfte im Rückwärtsgang wieder hochfahren musste. Wie der Schweizer Postbus vor jeder Kurve hupend. Ich glaub, das war wohl das Gefährlichste an der ganzen Tour 😉 .

Finding home and peace - Trekking mit Hund im Val Grande, nahe einer Alpe
Finding home and peace - Trekking mit Hund im Val Grande, nahe einer Alpe

Und wozu das alles?, als ich diese Zeilen tippe. Zum Momente sammeln. Für die ruhigeren Zeiten im Leben. Jene, wo ich dann in der Hängematte baumelnd meinen (Enkel-)kinder von den wilden Jahren erzählen darf…

Trekking mit Hund im Val Grande - Schluchtenweg/Selvaggio Verde mit Hund

  • Allgemeine Infos, geführte Touren (für Anfänger sehr zu empfehlen!) findet ihr hier.
  • Hinweise zum Klettersteig hier. Die Sicherheitsvorgaben sind explizit sehr streng gehalten, da hier schon viele Unerfahrene verunglückt sind. Am Ende bleibt die Wahl der Ausrüstung jedem selbst überlassen – es sind auch längere Gehstücken dabei. Der Steig weist viel A-Gelände, aber auch B-Stellen und meiner Meinung nach sogar eine kurze C-Stelle (ein leichter Überhang) auf. Die Sicherungen sind (abgesehen vom ersten, noch nicht sanierten Abschnitt) tip top und teilweise besser als anderswo in den Alpen. Der erste Wegabschnitt ist nicht empfehlenswert zu begehen – bitte an die Karte des obigen Links halten!
  • Östlich des Schluchtenweges, unterhalb der Cima Pedum schließt sich das Naturschutzgebiet Riserva Integrale de Pedum an. Hier ist Campieren verboten und es sind keine Tiere mitzuführen – Wege dorthinein gibt es allerdings auch keine.
  • Eine schöne Seite für mehr Infos zur Ausrüstung, den Hütten, Campieren,  Wasserversorgung und dem Wandern im Park findet ihr hier.
  • Handynetz: Nicht vorhanden. Nicht mal „Nur Notrufe“. Schlichtweg: Kein Dienst verfügbar. Wer kann, nimmt ein SOS-Spot oder einen Satellitenmessenger mit.
Morgenstimmung an der Alpe
Morgenstimmung an der Alpe

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Hi Francie,

    und vielen Dank, dass du meinen Beitrag verlinkt hast:) Ein sehr schöner Artikel – hat mir Spaß gemacht das zu lesen und vor allem mal die Fotos von dem „neuen“ Schluchtenweg zu sehen. Eine gute Erinnerung, dass ich selbst mal wieder ins Val Grande müsste.

    Eine kleine Anmerkung wg. Handyempfang: Es gibt schon an etlichen Stellen Empfang, vor allem auf den Gipfeln und den Übergängen zwischen den Tälern hatte ich eigtl. nie Probleme. In der Schlucht natürlich nicht:P

    Einen Super-Blog hast du hier übrigens – werde ich mal direkt folgen:) Wünsche dir noch viel Spaß bei deinen Abenteuern

    Selim

    1. Danke dir lieber Selim für deine Nachricht! Also ich hatte es auch bei den Alpen und auf dem Gipfel versucht mit Handynetz, ich hatte keine Chance 😉 Ich fand deinen Artikel sehr aufschlussreich, deswegen dachte ich mir, man braucht ja nicht alles doppelt haben im Netz ;).

      Liebe Grüße!

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