Paddeln mit Hund: Packrafting Piave
Paddeln mit Hund Piave

Paddeln mit Hund: Packrafting Piave

„Der größte Fehler ist es, nicht an sich selbst zu glauben.“ (Unbekannt)

Das Wasser und der Schlamm des Tagliamento klebten noch an meiner Haut, als der Vierbeiner und ich bereits auf dem Weg nach Belluno waren. Denn dort fließt der Piave, ein weiterer unberührter Wildwasserfluss auf seinen 220 Kilometern Richtung Adria, unweit von Venedig, wo wir vor wenigen Wochen noch Stand up Paddeln waren. Paddeln mit dem Packraft auf dem Piave – von Belluno nach Ponte di Piave (93 Kilometer bis Wildwasserstufe 2) – Eindrücke einer wilden Reise.

Dachte ich schon, dass mich der Tagliamento an meine körperlichen und mentalen Grenzen bringt, so hatte ich mich noch nicht mit dem Piave angelegt. Der Tagliamento lehrte mich Strömungen zu lesen, die Tiefe des Wassers anhand der Art der Wellen abzuschätzen, Kiesbänke schon von Weitem dunkel durch das Blau schimmern zu sehen. Die vielen, teils kilometerlangen Umtragungen zeigten mir, dass ich dringend ein neues Tragekonzept brauchte – doch jetzt musste ich schmerzhaft so durch. Das Paddel über die Schulter gelegt, auf der einen Seite baumelte die volle Ikeatasche, auf der anderen das Packraft, auf dem Rücken noch ein Packsack und um den Bauch hatte ich mir den Vierbeiner gebunden. Tja, so stapfte ich sehr weit und sehr fluchend von der Komfortzone entfernt…

Belluno
Belluno

„Ab einem Pegel von 130 cm in Belluno nehmen die Schwierigkeiten erheblich zu.“, sagt Steve, der Flusswanderer. Mmh, dummerweise hatten wir sogar über 130 cm. Aber wir waren nun einmal hier und nachdem sich Fräulein Neunmalklug eine Abkürzung vom Parkplatz zur nicht vorhandenen Einstiegsstelle gesucht hat (und dabei mit Sack und Pack auf dem Hintern durch Gestrüpp die Böschung hinuntergebrettert ist), ging es Sonntag Abend hinein in die Fluten des Piave.

Traumfluss Piave
Traumfluss Piave

Der Piave fordert mich mit seinem hohen Wasserstand. Fahrbare Kiesbank- und Sohlschwellen werden in meinen Augen zu gefährlich zum Fahren (jaja, dank dir Fellnase alias Hampelmann an Bord und einem Funken Vernunft 😉 ). Es bilden sich teilweise große Walzen, die wir mit kräftigen Paddelzügen oder treidelnd umschiffen.  Manchmal hebt es uns bis zu einem Meter hoch aus dem Wasser, ehe wir im Wellental wieder zurück auf die Oberfläche klatschen. Treideln wir, so muss ich aufpassen, dass das Boot beim Einsteigen nicht von der Strömung weggerissen wird – zum Beispiel wenn Herr Hund mal wieder trödelt… oder lieber planschen will… oder am Ufer nach Stöckchen sucht…

In scharfen Kurven ist an den Prallhängen die Strömung sehr stark, sodass bis Anschlag gepaddelt wird. Ein Treibenlassen gibt es nicht, denn immer wieder bilden Baumleichen Hindernisse im Fluss. Und es gilt eh die Augen offen zu halten für eventuell vorhandene Röhrendämme – Überfahrten für Baufahrzeuge, deren Positionen sich beständig ändern, denn nach jedem Hochwasser müssen diese neu errichtet werden.

Wehr Ferner: leider geöffnet
Wehr Ferner: leider geöffnet

In der Abenddämmerung erreichen wir das Wehr Busche und tragen um. Bald folgt eine kilometerlange traumhafte Schluchtstrecke. Ich finde etwa 2 Kilometer hinter dem Wehr auf einer sehr breiten Kiesinsel einen geeigneten Zeltplatz – denkt zumindest mein müdes Hirn. Kurz vor Mitternacht denkt es sich jedoch: „Moment mal, wenn die jetzt nachts das Wehr öffnen, dann ist das nicht so fein…“. Schon habe ich Fellnase die Rettungsweste wieder angezogen und liege mit meiner im Schlafsack, das Boot am Handgelenk festgebunden, sowie die restlichen Packsäcke am Körper. Doch fünf Minuten später packe ich Zelt und meine Sieben Sachen ins Boot und paddle im Dunkeln zu einer höher gelegenen Stelle. Immer einen Meter höher, sagt die Faustregel, welche ich morgen Abend von zwei Innsbrucker Paddlern zu hören bekomme. Todmüde sinke ich zum zweiten Mal in dieser Nacht in den Schlafsack, nun ohne Rettungsweste.

Paddeln mit Hund und Packraft auf dem Piave
Paddeln mit Hund und Packraft auf dem Piave

Am nächsten Morgen sind wir mit den ersten Sonnenstrahlen unterwegs in der Schlucht. Rehe schauen uns vom Ufer aus an. Wir paddeln, treideln, tragen weiter. Mehrere Wehre und andere Hindernisse, wie schwierig zu befahrene Brücken oder Sohlschwellen warten auf uns. Ich kämpfe mich mühsam schon ein ganz Stück vor dem Wehr Neversa della Battaglia aus dem Wasser. Denn die Strömung ist so stark, die Wellen so hoch, dass wir nicht nur auf den letzten Metern ganz viel Wasser „geschluckt“ und somit im Boot haben, als auch sorge ich mich, nicht rechtzeitig anlanden zu können. Schon eine ganze Weile quäle ich mich mit meinem unbequemem Tragesystem einen Pfad entlang, fünfzig Schritte maximal, dann brauche ich eine Pause, um meine Schultern und Arme zu entlasten. Ich fluche und denke verzweifelt an die Entfernung und die weiteren Hindernisse, welche auf den nächsten Kilometern vor uns liegen. Ich stapfe wankend weiter, Schweiß rinnt unter meinem Neoprenanzug entlang. Nur der Vierbeiner freut sich über eine Runde nicht schwankendes Gassi. 

Mitten in dieser einsamen Pampa rollt ein klappriger Fiat Punto auf uns zu. Ivan hält neben uns. Er spricht nur Italienisch. Ruft seine Frau an, welche Englisch spricht. Ich verstehe: Frau, allein, Hund, Paddel. Ob wir Hilfe brauchen? Mmh, könnte er uns die restlichen Meter bis hinter das Hindernis bringen?, ergreife ich meine Chance. Und Ivan, unser Engel in der Not, wirft Hund und Gepäck in den Kofferraum und setzt mich kurze Zeit später wieder ab. „Now not dangerous“, sagt er und winkt zum Abschied.

Packrafting Piave
Packrafting Piave

Am späten Nachmittag kommt Ponte di Piave in Sicht. Wieder sorge ich mich wegen der starken Strömung nicht rechtzeitig die Ausstiegsstelle zu erwischen, halte eher an. Kralle mich an einer Wurzel fest, werfe den Hund aus dem Boot und zerre alles die Böschung hinauf. Versuche es  zumindest, aber sinke fast bis zum Po im treibsandartigen Flussschlamm ein. Wie im Moor werde ich aufgesogen und habe Mühe meine Schuhe zu retten. Und danach wartet Dornengestrüpp auf mich, durch was ich mich barfuß mehrmals schlage, um Boot und Gepäck in Etappen auf eine Ebene zu hieven, um dort alles zu verstauen. Schon jetzt ziemlich am Ende, schaue ich auf die Karte. Okay in 50 m ein Weg. Schultere meine Last, kämpfe mir mit dem Paddel voran den Weg durch die Dornen frei und erstarre. Eine weitere steile Uferböschung und ein Bach mit ebenso moorartigem Schlamm tut sich vor mir auf. Ich fluche erneut, halte mich mehr Richtung Piave und überquere – Packsack für Packsack – schwimmend den Zustrom. Denn das Packraft ist schon eingepackt und verstaut. Die Ikeatragetasche (natürlich offen und nicht wasserdicht) balanciere ich so hoch wie möglich über Wasser. Zum Glück ertasten meine Füße einen Baumstamm unter Wasser, auf dem ich mich schwankend dem Ufer nähere. Kurz vor der Böschung werfe ich sehr optimistisch den Sack ins Gestrüpp und springe hinter, erneut an Wurzeln festkrallend. Rufe dem Vierbeiner – der die ganze Aktion aus sicherer Entfernung beäugt hat – aufmunternd zu, dass er nachkommen soll. Schleppe wieder alles durchs Gestrüpp, bis wir einen Weg erreichen.

Versuch Nummer eins...
Versuch Nummer eins...

Zäh und endlos scheint der Weg zum Bahnhof. Klitschnass bis zu den Haaren, mein Neoprenanzug bis zum Po voll mit Schlamm krieche ich durch die Straßen und starre erschöpft die Menschen an, welche an diesem Montagabend das Steinpflaster ihres Vorgartens staubsaugen und die Triebe der Hecke stutzen. Wahrscheinlich wirke ich ebenso als käme ich von einem anderen Planeten. Tue ich auch. Tagliamento und Piave in drei Tagen inklusive Zug zurück und Autofahrt Venzone nach Belluno, sage ich vollkommen erledigt zu den beiden Innsbrucker Paddlern, die an der Bahnhofskneipe sitzen. „Das ist unmöglich“, sagen sie. „Machst du sowas öfters?“ „War mein erstes Mal…“, murmle ich und setze mich auf die Packsäcke, suche durstig meinen Trinkschlauch. Wir fahren gemeinsam zurück nach Belluno, ich hole mir Tipps und Tourenideen und darf dankend ihre Drohnenaufnahmen (siehe Video) verwenden.

Von Bahnhof in Belluno wanke ich zurück zum Auto, kuschle mich dreckig wie ich bin in den Schlafsack. In zwei Tagen wollte ich mich mit einer Freundin und ihrem Hund zum Mountainbiken im Friaul treffen… doch am nächsten Abend sitze ich mit blauem und dickem rechtem Unterarm in der Innsbrucker Unfallambulanz. Röntgen, dann Gipsraum, heißt es. Doch Gott sei Dank nichts angebrochen, meine Sehnen haben nur für die nächste Zeit weiteren Aktivitäten dieser Art den Riegel vorgeschoben – so darf ich erstmal einige Zeit lang den einarmigen Banditen spielen…

... lieber auf Nummer sicher
... lieber auf Nummer sicher

Sehr gute Flussbeschreibung mit Hinweisen zu Hindernissen, Pegel, Befahrungsvideo etc:
Kanuführer – Piave – flusswandern.at

Pegel Belluno: 132 cm
Pegel Neversa della Battaglia: 113 cm

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