Bikepacking mit Hund – Lunigiana Trail
Bikepacking mit Hund - Lunigiana Trail

Bikepacking mit Hund – Lunigiana Trail

In den Leidenschaften lebt der Mensch. In der Vernunft existiert er nur. (Nicolas Chamfort)

Der Lunigiana Trail führt auf 230 km durch die verwunschene Region Lunigiana, welche sich im südlichen Teil von Ligurien und im nördlichen Teil der Toskana befindet. Durch das „Land der Tausend Burgen“ schlängelt sich auf  mitunter wilden und groben Pfaden (MTB empfohlen!) die Route durch historische Altstädte, einsame Wälder und über Bergkämme, unter Palmenwedeln und durch rauschende Bachbetten. Und jetzt in den ersten Märztagen, wohnt dem ein ganz besonderer Zauber inne: Weiße Gipfel, blühende Täler, sommerliche Tagestemperaturen, Nachtfrost und dort hinten glitzert das Mittelmeer an der Cinque Terre…

Eindrücke vom Bikepacking mit Hund auf dem Lunigiana Trail. Video bitte in HD schauen.

 

Mehrere Skipaare fliegen aus dem Auto, das Radl und der Bikepackingausrüstungshaufen werden hineingestopft, der Vierbeiner obendrein. Schon sind wir unterwegs Richtung Süden. In Pontremoli nahe der berühmten steinernen Bogenbrücke, wird alles wieder rausgeworfen und endlich rollen wir unter einem azurblauen Himmel und blühenden Apfelbäumen los. Besser gesagt: Ich schiebe im 1-Meter-Abstand-Stop and Go. Denn hier in den schmalen hohen Gassen der Altstadt „duftet“ natürlich jede Häuserecke, jeder Mülleimer verführerisch… Endlich geschafft und raus aus dem Gewusel, da blitzt ein Bild auf in meinem Kopf: Eine rote Kartusche in unserer nun fast leeren Ausrüstungsbox im Auto. „Tiger, wir haben unser Gas vergessen!“ Verständnislos blickt er mich an und ich wende seufzend zurück in die Dufthölle und nochmal retour. Nach den ersten steilen Höhenmetern, die sich sofort anschließen, ziehe ich mich bis auf die Radhose aus und strample mit Winterthermoschuhen (extra warm), aber ohne Shirt bergauf. Naja, morgen früh bei Nachtfrost werde ich wohl froh über die Winterausrüstung sein… doch jetzt rinnt nur der Schweiß und wir holpern langsam, aber stetig bergan.

Pontremoli
Pontremoli
Bikepacking Lunigiana mit Hund
Bikepacking Lunigiana mit Hund

Eine steile technische Abfahrt hinab, durchgerüttelt in engen Gässchen eines Bergdorfs und dann auf leeren Wegen wieder bergan. Die Krokusse blühen und die vor uns liegenden Gipfel sind noch eingeschneit. Die scharfzackige Silhouette der Apuanischen Alpen ständig im Blick. Und dort hinten müsste das Mittelmeer sein. Dort, wo jetzt im leichten Abendwind hinter den Hügeln die Sonne groß und hell versinkt. Meine Füße in den warmen Schuhen und in die Daunenjacke gemummelt. Die Glocken im Tal läuten 18 Uhr, die Hände fröstelnd am heißen Nudeltopf. Unser Adlerhorst-Nachtlager war etwa eine halbe Stunde Strampel- und Schiebeumweg vom Track entfernt. Doch die Übernachtung auf dem breiten Rücken des Monte Bosta war etwas Unbedingtes, um die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen. Nachdem die Sonne im Mittelmeer verschwunden war, verstummten auch die Vögel. Und nach nur wenigen Leseminuten fielen mir gegen 19 Uhr die Augen zu, die Fellnase an meinen Füßen eingerollt. Später weckt mich der Vierbeiner im Stockfinstern mit blubberndem Knurren. Vor der Zeltplane raschelt es.

Die Apuanischen Alpen
Die Apuanischen Alpen
Bergdörfer
Bergdörfer

„Alles gut, Tiger, das sind die Wildschweine…“ Mexx knurrt vehementer, dann bellt er, schaut mich aus dunklen, großen Augen an und zittert wie Espenlaub. Draußen schnaubt und brummt es zurück. Moment, seit wann brummen Wildschweine? Äh, während der Tourenrecherche sind mir keine Bären oder Wölfe über den Weg gelaufen. Aber vielleicht halten die sich nicht immer an digitale Grenzen… Vorsichtshalber bewaffne ich mich mit meiner 13,5 Gramm-Ultraleicht- Outdoor-WC-Kelle, die neben meinen Essensvorräten im Vorzelt liegt. Oh, nicht so optimal. Kein Essen in Zeltnähe. Außerhalb unserer 1 mm starken Festung kracht es im Unterholz. Mexx schlägt erneut an. „Gut Tigermann, ich übernehme die Verteidigung.“ Meine 13,5 Gramm-Waffe in der Hand, Hundefutter und Spaghetti in der anderen, wage ich mich hinaus, der Vierbeiner, zaghaft und todesmutig, dichtgepresst hinter meinem rechten Oberschenkel. Wenn wir schon untergehen, dann wenigstens gemeinsam, stupst er mir in die Kniekehle. Die Geräusche der wilden Schwein-Bär-Wolfwesen enden augenblicklich und ich platziere erhöht und in einiger Entfernung unsere Futtersachen. Zurück in unsere Burg. Mexx bellt erneut. Ich stelle mich tot. Hat auch in den Abruzzen geholfen und da waren es eindeutig Bären. Aus entgegengesetzter Richtung dringt auf einmal ein Jaulen und Heulen an mein Ohr, welches zu einem mehrstimmigen Kanon anschwillt. Ich halte fest an meinem Brumm-Wildschwein-Glauben und einer Huskyfarm im Nirgendwo. Sorgt für ruhigeren Schlaf. Im Tal läutet es Mitternacht. 

Bikepacking Lunigiana mit Hund
Bikepacking Lunigiana mit Hund
Verwunschenes Lunigiana
Verwunschenes Lunigiana

Rosafarbene dünne Wärme erreicht uns in der Morgendämmerung. Die Sonne tastet sich hinter dem östlichen Bergkamm empor. Ich blinzele umher. Alles noch dran, Mexx noch da. Die nächste Stunde tauche ich in meine Buchwelt ab und warte bis dicke Strahlen uns erwärmen. In einer sanften Stille aus Vogelstimmen, Glockenschlägen und vereinzeltem Bienensummen sitzen wir beim Frühstückstee. Ich habe gefunden, was ich gesucht habe. Meine Welt. Ohne ständige Erreichbarkeit, Leistungsdruck und Erwartungshaltungen. Wo die Zeit süß wie Honig fließen darf. Entschleunigung im Hundetrabtempo. Vom Funktionieren zum Einfach-sein-Dürfen. In der Stille. In der Freiheit. Gestern war ich noch in der Welt der tickenden Uhren und stetig anwachsenden To-Do-Listen gefangen. Doch nun, Mexx legt seinen Kopf auf meinen Oberschenkel, schließt genüsslich die Augen in der Morgensonne… Auch wenn ich bis heute nicht weiß, wo mein Zuhause ist, so bin ich doch hier und jetzt, mit dem Duft von Apfel-Feige-Tee in der Nase, so ziemlich richtig.

Ligurischer Höhenweg
Ligurischer Höhenweg
Hütehundbaby
Hütehundbaby

Fünfundzwanzig Kilometer, überwiegend bergab, bis zum nächsten Supermarkt. Ursprünglich wollte ich ohne Frühstück los um dort frisch zu speisen. Ein Katzensprung bzw. ein Hundehüpfer. Tja, in sehr regelmäßigen Abständen kollidiert mein Wunschdenken mit der Realität. Letztere widersetzt sich hartnäckig.  So auch diesmal. Wir holpern bergab, mit der Nasenspitze fange ich die Spinnweben der Nacht ein, während sich im Wald efeu-ummantelte Steinhäuser verstecken. Durch verwunschene Dörfer, der große Glockenturm schlägt laut seinen Gong, Katzen huschen eilig um die nächste Ecke und lautstarkes Bellen hinter den Zäunen. Wir verirren uns in den hohen, engen Gassen von Bagnone. Um die Straßenabschnitte zu vermeiden und die Route etwas einzukürzen, weiche ich auf eine Off-Road-Singletrail-Abkürzung aus. Tja, sehr mühsame Abkürzung und mal wieder in der Realität nicht der erhoffte flowige Singletrail. Erst schiebe ich durch ausgewaschene Geröllrinnen bergauf, dann durch von Motocrossfahrern tief zerfurchte Wege wieder bergab. Und mittendrin habe ich Mühe mit ausreichend Schwung und dem innigen Beten, dass meine Reifen bald wieder festen Untergrund erwischen, durch sehr weite und sehr tiefe Schlammlöcher zu kommen. Hat nur halb geklappt. Mit einer halbseitigen Schlammpackung betrete ich gegen 14 Uhr sehr hungrig den Supermarkt.

Nachtlager
Nachtlager
Sonnenanbeter
Sonnenanbeter

Im nächsten langen Anstieg piepst mein Radnavi und neben dem Abbiegepfeil steht: „Alta Via Monte Liguri„. Hier hat vor 22 Monaten alles begonnen. Die härteste Tour als Feuertaufe und seitdem wird „Geht nicht, gibts nicht“ gespielt. Der Ligurische Höhenweg schenkt uns Meerblicke, braun-weiß gescheckte Pferde, riesige weiße Hütehunde, die uns wachsam durch ihr Revier eskortieren und frische grüne Knospen, die sich mutig gen Frühling tasten. Das Leben kann so einfach sein, ein Mittagspäuschen an leise gurgelnden Bächen und unter Brombeerranken im weichen Moos. Die schmalen Bergstraßen sind verlassen, genauso wie die winzigen Häuseransammlungen. Hier sitzt ein Mann auf einem vergilbten weißen Plastikstuhl, hütet zwei schneeweiße Lämmchen und sieht der Zeit beim Honigwerden zu. Dort tritt eine grauhaarige Frau aus der knarrenden Tür und winkt zahnlos lächelnd. Der Duft von frisch gewaschener Wäsche, die bunt vor den Wänden flattert. Aus duftenden Nadelwäldern werden dichte Buchenwälder, Schneeflecken sitzen ganz oben zwischen Laub und Heidekraut. 

Der letzte Fahrtag bietet nochmal sehr wilde und grobe Trails, oberschenkelsprengende kurze und knackige Anstiege und eine lange Abfahrt zurück ans Auto. Wow, denke ich mir. Nix kaputt gegangen. Mexx nicht, Rad nicht, ich nicht. Danke 🙂

Wilde Wege
Wilde Wege
Bikepacking mit Hund Lunigiana
Bikepacking mit Hund Lunigiana
Historische Gassen
Historische Gassen
Wasserfall im Val Verde
Wasserfall im Val Verde

Schreibe einen Kommentar

Menü schließen